Der Film ist wundervoll, ergreifend, auch spannend...

„Astrid“ von Pernille Fischer Christensen

von Renate Wagner

Astrid
(Unga Astrid)
Dänemark, Schweden 2018

Drehbuch und Regie: Pernille Fischer Christensen
Mit: Alba August, Trine Dyrholm, Henrik Rafaelsen, Björn Gustafsson u.a.
 
Feministinnen (wenn es sie in ihrer ehrlichen Form und nicht in ihrer #metoo-Verformung überhaupt noch gibt) aufgepaßt: In schneller Reihenfolge kommen nun drei „Biopics“ über Autorinnen, die es gemeinsam haben, ihren Weg in einer Männerwelt mit Entschlossenheit gegangen zu sein. Den Anfang macht „Astrid“, wobei es sich nur um Astrid Lindgren handeln kann, es folgt „Mary Shelley“, die Autorin des „Frankenstein“, und schließlich kommt „Colette“ – drei gleicherweise bemerkenswerte Streifen, die in ihrem historischen Ambiente bleiben und dennoch nie in der Ausstattung ersticken. Was bei Astrid Lindgren (1907-2002) ohnedies am wenigsten möglich wäre, denn sie lebte in keiner pittoresken Welt.
 
Ihre Eltern waren Pfarrhofpächter in der schwedischen Provinz, und allein das bestimmte ein restriktives Leben für alle Familienmitglieder – außer Astrid. „Becoming Astrid“, das Werden der Astrid Lindgren, hat die dänische Regisseurin Pernille Fischer Christensen ihren gut zweistündigen Film genannt, in dem sie die Entwicklung des jungen Mädchens, das sich in der Kirche langweilt, bis zur entschlossenen Schriftstellerin schildert – ein Weg, der über eine schwer geprüfte junge Frau führt. Von Anfang an begehrt sie auf – warum der Bruder etwas dürfe und sie nicht. Er ist ein Junge, sagt man ihr. Aber die harte Arbeit am Land ist auch für Frauen vorgesehen.
Aber die junge Astrid Ericsson kann schreiben, das erkennen alle, sogar die nicht eben aufgeschlossenen Eltern, und als sie eine Stellung in einer Zeitung bekommt, darf sie sie annehmen. Chefredakteur Reinhold Blomberg (Henrik Rafaelsen) entdeckt nicht nur Astrids Talent – die sexuelle Beziehung des verheirateten Mannes zu dem jungen Mädchen kommt wie selbstverständlich, und sie läßt sich liebend darauf ein. Aber daß eine unverheiratete 19jährige schwanger wird – da hat sie von ihrer Familie keine Hilfe zu erwarten, im Gegenteil, man stößt sie aus, muß sie ausstoßen, sonst wären die ganzen Ericssons in ihrer Welt, in der sie leben müssen, erledigt (der Pfarrer wohnt nebenan, das Land gehört der Kirche)…
Es ist ein harter Weg, auf dem man Astrid begleitet, wobei die Regisseurin jedes wechselnde Milieu mit Sorgfalt gestaltet. Astrid muß mit blutendem Herzens ihren heimlich geborenen Sohn zu einer dänischen Pflegemutter (wunderbar: Trine Dyrholm) geben und sich unter den bittersten Bedingungen im Alltag durchkämpfen. Ihr Geliebter kann sie nicht unterstützen, macht er ihr weis, er lebt unter der Gefährdung, für Ehebruch ins Gefängnis zu kommen. Spät erst erkennt die loyale Astrid, daß er sie egoistisch allein läßt.
Ohne im geringsten triefend zu werden, auch wenn Astrid manchmal vor Verzweiflung brüllt, zeichnet die Regisseurin nach, wie hart das Leben einer einsamen ledigen Mutter war, die in Stockholm lebte, immer nur gelegentlich nach Kopenhagen reisen konnte, um ihren Sohn Lasse zu sehen, und dabei zu realisieren, daß er sie (trotz Pflegemutter Maries Bemühungen) nicht als Mutter wahrnahm. Vielleicht ist es zu einfach, den Beginn der berühmten Kinderbuchautorin Astrid Lindgren damit zu erklären, daß sie dem widerstrebenden Buben, den sie nach Maries Tod zu sich nimmt, nächtlich selbst erfundene Geschichten erzählt…
Jedenfalls atmet man auf, als der zuerst durchaus unfreundliche neue Chef „Herr Lindgren“ (Björn Gustafsson) heißt. Denn bald zeigt sich, daß er ein Herz für eine Angestellte mit einem kranken Kind hat (und ihr einen Arzt schickt, den sie sich nicht leisten könnte). Und irgendwann wird alles gut, dann nimmt sie den Sohn mit zu den Eltern, die sich aufraffen, der Umwelt die Stirn zu bieten – und daß aus der unglücklichen Astrid Ericsson die wohl glückliche Astrid Lindgren wurde, die weltberühmte Autorin, muß nicht mehr erzählt werden. Dann ist Astrid ja schon jene Astrid, die die Welt kennt.
 
Aber die Regisseurin nimmt auch Bezug darauf, daß wohl jeder Astrid Lindgren als die weltberühmte, alte, runzelige Frau im Gedächtnis hat, die man auf vielen Fotos gesehen hat: Immer wieder wird diese alte Frau zwischen die Geschichte der jungen Astrid eingefügt, und immer erzählen ihr die Leser, wie wichtig ihre Figuren für sie waren – schlechtweg Lebenshilfe, wenn Pippi Langstrumpf zeigt, wie es geht, ohne Vater und Mutter zu aufzuwachsen und doch den Mut nicht zu verlieren.
Der Film ist wundervoll, ergreifend, auch spannend, und Hauptdarstellerin Alba August könnte überzeugender nicht sein. Na ja, wenn das Talent auch von beiden Elternteilen (der dänische Regisseur Bille August [Pelle, der Eroberer, Fräulein Smilla] und die schwedische Schauspielerin / Regisseurin Pernilla August) kommt…
 
Trailer  
 
Renate Wagner