Sawsan Chebli und ihre teuren Uhren

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Sawsan Chebli
und ihre teuren Uhren
 
Die SPD-Staatssekretärin des Landes Berlin
ist von Rolex auf Cartier umgestiegen
 
Von Ulli Tückmantel
 
Die SPD stürzt von einem Umfragetief ins nächste, denkt eine Woche vor der Landtagswahl in Hessen über das Ende der großen Koalition nach, dringt mit Sachpolitik nicht durch, hat Verfassungsschutz-Chef Maaßen noch immer nicht aus dem Amt entfernt - und womit schafft sie es in die Schlagzeilen? Mit einer Uhr auf einem Foto von 2014. Hauptdarstellerin dieses Wahrnehmungs-Desasters ist wieder einmal Sawsan Chebli.
 
     Die umstrittene 40-jährige „Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement“ des Landes Berlin ist häufig Gegenstand von ihr selbst verschuldeten Negativ-Debatten. Im Oktober 2017 sprang sie auf den #Metoo-Zug auf und bezichtigte bei Facebook einen früheren deutschen Botschafter, sie als Frau öffentlich herabgewürdigt zu haben; der ältere Herr hatte sie bei einer Veranstaltung schlicht nicht erkannt und ihr dann ein keineswegs anstößiges, aber unpassendes Kompliment gemacht. Chebli witterte mindestens Sexismus. Zusammen mit Rassismus ein Standard-Reflex der bekennenden Muslima, die noch 2016 die Scharia für mit dem Grundgesetz vereinbar hielt und ein Jahr für die Klarstellung benötigte, da gebe es in der Scharia wohl doch Vorschriften, die „in einem demokratischen Staat nichts zu suchen“ haben.
Ende August twitterte Chebli nach dem Chemnitzer Konzert „#wirsindmehr“ gegen Rechts: „Wir sind mehr (noch), aber zu still, zu bequem, zu gespalten, zu unorganisiert, zu zaghaft …Wir sind zu wenig radikal“. Nach heftiger Kritik schob sie nach, sie wolle das Wort „radikal“ doch lieber nicht mehr verwenden, weil es als gewalttätig verstanden werden könne. Als Chebli in einer Debatte des Abgeordnetenhauses für ihre Äußerungen sowohl von der CDU als auch der AfD heftig kritisiert wurde, verließ sie unter Tränen den Sitzungssaal.
     Auch in der #Rolex-Debatte flüchtete Chebli reflexhaft in die Opferrolle: „Wer von Euch Hatern hat mit 12 Geschwistern in 2 Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen&gegessen, am Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer mußte Monate für Holzbuntstifte warten? Mir sagt keiner, was Armut ist“, verkündete sie auf Twitter, was ihr mehr als 1000 überwiegend negative Antworten eintrug - und mit der eigentlichen Frage nichts zu tun hat, nämlich ob es für eine sozialdemokratische Landes-Staatssekretärin angemessen ist, mit einer Rolex zum Preis von 18 Hartz-IV-Regelsätzen für ein offizielles Foto zu posieren.
Ausgelöst hatte die Debatte zunächst bei Facebook ein Dortmunder Nutzer, der das Bild von Chebli mit der Rolex DateJust sowie dem Preis von 7300 Euro gepostet und mit dem amüsierten Kommentar versehen hatte: „Alles was man zum Zustand der deutschen Sozialdemokratie 2018 wissen muß.“
     Wissen müßte man dazu vor allem: Das Bild ist drei Jahre alt. Aufgenommen wurde es, als Chebli - bis dahin „Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten“ in der Berliner Senatsverwaltung und mit Projekten wie „Jung, Gläubig, Aktiv“ und interreligiösen Poetry Slams befaßt - vom damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) 2014 zu stellvertretenden Sprecherin des Außenministeriums ernannt wurde. Nach Steinmeiers Wechsel ins Bundespräsidialamt holte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) die inhaltlich eher unauffällige Chebli als Staatssekretärin ins Rote Rathaus zurück. Als das Foto aufgenommen und veröffentlicht wurde, stieß sich niemand daran, daß Chebli die Rolex-Baureihe wie die heutige AfD-Fraktionschefin Alice Weidel trägt.
     Es ist, als hätte jemand schon ein Wochenende zu früh an der Uhr gedreht und die Zeit zurückgestellt, und das gleich um mehr als ein Jahrzehnt. Denn die Diskussion erinnert an die selbstverschuldete Debatte, die sich 2005 der Siemens-Konzern und sein damaliger Vorstandsvorsitzender Klaus Kleinfeld leisteten: Auf seinem ersten offiziellen Foto hatte sich der damals 47-Jährige mit einer Rolex „GMT Master II“ (damals: 7250 Euro) ablichten lassen, die das Arbeiterkind Kleinfeld voller Aufstiegs- und Besitzerstolz auch schon als Chef des US-Aluminiumkonzerns Alcoa getragen hatte.
Ein halbes Jahr später veröffentlichte Siemens das gleiche Foto ohne Uhr an Kleinfelds Handgelenk, leugnete zunächst die Foto-Bearbeitung und durfte sich des Spotts der Republik sicher sein. Wie die Reaktionen auf Chebli im Netz zeigen, reicht allein der Markenname „Rolex“ noch immer aus, um sowohl Neidreflexe auszulösen als auch als Symbol der Entfremdung von der Normal-Bevölkerung zu wirken - auch, wenn selbst der „Stern“ spottet, es handele sich ja wohl eher „um ein Luxusgut der Opel-Corsa-Preisklasse“. So sieht man das in den finanziellen Oberklasse-Etagen ohnehin und blickt etwas mitleidig auf die Rolex-Träger herab.
     Der Schweizer Stil- und Modeexperte Jeroen van Rooijen erklärte im vergangenen Jahr recht freimütig und ohne jede Ironie, eine Rolex sei ja „der Massenartikel unter den Luxuswaren“ und tauge nicht zum Statussymbol: „Ich finde eine Rolex eigentlich nicht besonders luxuriös, sondern fast schon basic. Es ist eine Art ‚Werkzeug‘, also ein solider Apparat mit einem vernünftigen Preis und guter Wertstabilität. Außer sie ist mit Diamanten dekoriert, das finde ich irgendwie pervers und unpassend.“
Schon allein deshalb konnte FC-Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge 2013 mit allem rechnen, nur nicht mit Mitleid, als er bei der Rückkehr aus Katar von der Zollkontrolle am Münchner Flughafen mit zwei Rolex-Uhren im Wert von rund 100.000 Euro erwischt wurde, die ihm in Katar geschenkt worden waren. Ein teures Vergnügen: Zu den Zollgebühren verdonnerte ihn das Landgericht München II zu einer Strafzahlung von 140 Tagessätzen. Laut „Süddeutscher Zeitung“ belief sich die Strafe auf 249.900 Euro, weshalb Rummenigge nun vorbestraft ist.
     Daß Sawsan Chebli der Liga der Rolex-Besitzerinnen längst nach oben entstiegen ist, hat das Netz offenbar noch nicht mitbekommen. Der für Politik-Kontakte zuständige Mitarbeiter eines Telekommunikation-Konzerns wies bei Twitter auf ein dpa-Foto hin, daß Chebli im vergangenen Jahr mit deutlich teurerer Uhr zeigt: „Ganz ehrlich: Finde ihre „Ballon Bleu” von Cartier (siehe Foto) ja deutlich geschmackvoller als die doofe #rolex Foto ist von Oktober 2017, hat damals aber keine Sau interessiert.“
Die „Ballon Bleu“ von Cartier (33 Millimeter Durchmesser in Rotgold und Edelstahl) kostet im Online-Shop des Herstellers aktuell 9850 Euro. Armut sieht anders aus.
 
Anm. d. Red.: Wie gestern der Presse zu entnehmen war, hat Sawsan Chebli mittlerweile ihr Facebook-Konto geschlossen.
 
 
Der Kommentar erschien am 22. Oktober 2018 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.