Offensichtlich weniger für interessierte Leser als für Fachkollegen

Michael Zeuske – „Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute.“

von Johannes Vesper

Sklaverei –
Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute.
 
Was ist Sklaverei eigentlich? Gewalt von Menschen über Menschen? Über Körper von Menschen? Wie kommt es dazu? Schulden, Krieg, Handel und Geburt gelten als die wichtigsten Ursachen für Sklaverei. Im vorliegenden Buch wird Sklaverei der gesamten Tiefe der Welt- und der gesamten Breite der Globalgeschichte abgehandelt, nicht nur einzelner Epochen oder Regionen. Globalgeschichte beginnt nach der Vorstellung des Autors im Jahre 1522, als Magellans Schiff von der ersten Weltumkreisung zurückkehrt. Die Definition des Begriffs der Sklaverei scheint schwierig vor allem auch deswegen, weil der Autor Definitionen nicht mag. Er spricht von Sklavereiplateaus, meint damit unscharf begrenzte Episoden von Sklaverei, die sich zeitlich und räumlich auch überlappen können. Mit „Sklaverei“ wurden und werden rechtlich mehr oder weniger legitimierte, menschliche Gewaltsysteme beschrieben.
 
Der Autor stellt die Hypothese auf, dass Sklaverei bereits mit den Anfängen der Landwirtschaft und Siedlung des Menschen, also etwa vor 20.000-8000 (!) Jahren begonnen habe (1. Sklavereiplateau). Welche Belege es für damalige opportunistische Versklavungen vor allem „von Frauen, Kindern und Fremden ohne Menschenhandel“ gibt, bleibt offen. Kann archäologisch aus anonymen Gräbern ohne Beigaben auf Sklaverei geschlossen werden? Wurden Sklaven überhaupt beerdigt? Auch Geschichte als Wissenschaft kann darüber eigentlich nur spekulieren. Handfester wird die Geschichte der Sklaverei bei Auswertung antiker römisch-griechischer Quellen, obwohl diese juristisch ziemlich organisierte Episode nicht als eigenes Plateau behandelt wird, sondern im 2. Sklavereiplateau des Autors (ca. 3000 v.Chr. – 1400 n. Chr.) untergeht und somit zusammengefaßt wird mit z.B. der Ausweitung der Sklaverei anläßlich der arabisch-berberischen Expansion seit dem 7. Jahrhundert n.Chr. und der mongolischen Expansion im 13. Jahrhundert n.Chr.. Zahlenmäßig das wahrscheinlich gewaltigste Sklavenplateau könnte das 3. sein, das erste der Globalgeschichte, welches sich um den Atlantik und um den Indischen Ozean herum, in Afrika und den in den Amerikas ausbreitete. Es begann um 1400n. Chr. (laut Inhaltsverzeichnis 1400 v. Chr?) und ging von China aus. Mit dem berühmten Dreieckshandel über den Atlantik zwischen Europa, Afrika und den Amerikas wurden Sklaven, wurde Zucker, Kakao, Kaffee, Baumwolle, Gold, Stoffe, einfacher Schmuck verkauft, wovon zunächst Portugal und Spanien besonders profitierten. Später beuteten die Engländer auch Indien aus, worüber sich schon Karl Marx erregt hat. Selbst das Bergische Land um 1800 hat als Hinterland der Sklaverei von ihr profitiert. Und Sklaven bei uns hier in Mitteleuropa? Jeder von uns, ausgeschlossen Adlige, wird unter seinen Vorfahren Leibeigene haben. Entsprechen Leibeigenschaft und Sklaverei einander? Leibeigenschaft bedeutet Eigentum an Menschen, was schon durch Eike von Repkows Sachsenspiegel scheint belegt werden zu können. Und Alexander von Humboldt wird mit dem direkten Vergleich märkischer, böhmischer, schlesischer Leibeigener mit den Sklaven Südamerikas zitiert. Bei uns In Europa, schätzt man, hat es zwischen 1400 und 1900 etwa zwei Millionen Sklaven gegeben. Was sind Sklaven denn überhaupt wert und wert gewesen? Nach Schätzungen könnten bis 1888 Sklaven in Plantagengesellschaften Amerikas dem materiellen Wert von 15-40.000 € entsprochen haben, während heutige Sklaven (10jähriges Mädchen in Port-au Prince für 50 Dollar, eine junge Frau aus Bukarest für den Wert eines Gebrauchtwagens (?) und ein gesundes Kind für die Adoption für 20.000 €) eher günstiger zu bekommen sind.
 
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird dann von England ausgehend unter Begriff „Abolition“ die Sklaverei zunehmend kritisch gesehen und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 endlich verdammt, was aber nicht bedeutet, daß Sklaverei inzwischen beendet ist. Menschenrechtserklärungen ändern die Lebensverhältnisse prinzipiell nicht. Die Zwangsarbeitersysteme wie NS-KZ, Gulag sind erst seit 60-70 Jahren überwunden und neue Formen der Sklaverei leben inzwischen unter anderen Begriffen weiter bzw. wieder auf. Die Wissenschaftler schätzen, daß es heute ca. 30 Millionen Sklaven/Versklavte in der Welt gibt, vor allem in Indien, China, Pakistan, Nigeria, Äthiopien, Russland, Thailand, Kongo, Myanmar und Bangladesch. Von einem Ende der Sklaverei kann also nicht die Rede sein und die führende Rolle Europas bei dieser unerfreulichen Menschheitsgeschichte von Gewalt und Ausbeutung beschämt.
 
Der trockene, „wissenschaftliche“ Stil dieses thematisch so interessanten Werks weckt keine Lesefreude. Für Nicht-Fachleute, bzw. für den in diesem historisch-wissenschaftlichen Jargon nicht Beheimateten scheinen oft nicht allgemeinverständliche Termini zusammengewürfelt zu werden, worunter Verständnis wie Leser leiden. Ein Sachregister fehlt. Auf 40 Seiten werden aber 529 Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln geliefert und auf 16 Seiten mehr als 200 Literaturhinweise angegeben. So wendet sich das Buch mit seinem umfangreichen Material offensichtlich weniger an interessierte Leser, als an Fachkollegen, die dieses Lebenszeichen eines historischen Spezialisten zu schätzen wissen werden.
 
Michael Zeuske – „Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute.“
© 2018 Philipp Reclam jun. GmbH& Co. KG, Ditzingen, 303 Seiten, ISBN: 978-3-15-011155-0
28.- €
Weitere Informationen:  www.reclam.de