Ein abgeschlossenes Kapitel

Das DDR-Handbuch (Hrsg. Justinian Jampol)

von Frank Becker

Ein abgeschlossenes Kapitel
 
Versatzstücke einer deutschen Vergangenheit
 
Als die DDR sich im Sommer 1989 auf ihren 40. Geburtstag vorbereitete, war das Ende bereits abzusehen. Der erste sozialistische Staat deutscher Nation war nach seinen sozialistischen Experimenten, der Abschottung gegen den westlichen Bruderstaat und die faktische Gefangennahme der eigenen Bevölkerung hinter Mauer, Stacheldraht und Minenfeldern politisch und wirtschaftlich
bankrott. Bei einer Reise durch die DDR 1988 bekannten viele meiner Gesprächspartner: „Wenn ihr (die Bürger der Bundesrepublik, Anm.) uns nicht seit Jahrzehnten mit Paketen voller Kaffee, Jeans, West-Zigaretten, Kleiderstoffen,  Damenstrümpfen und Westmark-Zuwendungen versorgt hättet, wäre der Laden hier längst am Ende. Im Grunde habt ihr die DDR am Leben erhalten.“ Daran war gewiß etwas Wahres. Ich erinnere mich, daß der Wartburg meiner Gastgeber mit einem Kolbenschaden in der Garage stand – eine Reparatur war nicht möglich, weil in der ganzen DDR kein passender Kolben aufzutreiben war. Den habe ich nach meiner Rückkehr innerhalb weniger Tage aus Belgien beschafft und per Paket (sic!) nach Pirna geschickt.
 
Man lebte nicht unbedingt schlecht in der DDR, was die Versorgung mit Konsumgütern anging. Es gab fast alles, wenn auch nicht immer und das nicht unbedingt in guter Qualität. Manches, wie die Zeitschriften Das Magazin und Eulenspiegel waren Bückware. Man kaufte Dinge, wenn sie da waren, mitunter auch, um sie später gegen anderes zu tauschen. Mit dem Ende der DDR und ihrer Planwirtschaft und der „Machtübernahme“ durch den Kapitalismus ist in den ostdeutschen Ländern viel Unrechtes geschehen. Florierende Betriebe wurden geschlossen, Arbeitsplätze wurden vernichtet und die westlichen Konsumwaren verdrängten in Windeseile auch durchaus beliebte Standard-Artikel aus dem DDR-Sortiment. Verwaltung, Ordnungsmacht und Militär wurden aufgelöst und umstrukturiert, Hoheitszeichen wurden ausgetauscht, von der Flagge bis zum amtlichen Formular. eine Mammut-Aufgabe, die beachtlich gut gelang. Sehr schnell ersetzte ein System das andere. Schrott-Mazdas aus dem Westen ersetzten die legendäre Rennpappe „Trabant“, Karo, Juwel und Club wichen HB, Marlboro und West. Als ich Anfang 1990 die Stätten meiner Kindheit in Berlin-Pankow aufsuchte, steckte kopfüber in einem Schutt-Container in der Kavalierstraße ein Trabant, denn manche DDR-Bürger hatten den Staat und seine Symbole so satt, daß radikale Maßnahmen angesagt schienen. Vieles also verschwand schnell, sang- und klanglos.

 

 

Einige Kluge in privaten und staatlichen Archiven in Deutschland und anderswo aber hoben auf, was andere nicht mehr haben wollten und archivierten es in historischen Sammlungen. Das Wende Museum in Los Angeles ist eine solche und zwar die größte Institution weltweit. Es beherbergt eine der weltweit größten Sammlungen mit Überbleibseln aus der DDR-Zeit: Alltagsgegenstände und Designobjekte, Dokumente und Literatur, Uniformen, Propaganda, Werbung, Mode, Zeitschriften, Kunstgegenstände, Staatstragendes und Skurriles und leider eben auch Tragisches wie Versatzstücke der politischen Unterdrückung aus dem Arbeiter-, Bauern- und Bonzenstaat. Justinian Jampol, der das Museum gegründet hat und leitet, hat 2.000 der mehr als 100.000 Exponate in einem prachtvollen Band zusammengefaßt, dem „DDR Handbuch“, das jetzt in einer, naja, „handlichen“ und preiswerten Neuauflage vorliegt. Wir begegnen u.v.a. Florena und dekopan, bino und Nautik, NARVA-Glühbirnen und Sicherheitszündwaren, Kartoffel-Kloßmasse und Wittol Schukrem, Vasen aus Strehla und Stern-Radios, Progress-Filmprogrammen und „Zeit im Bild“, Pittiplatsch und dem Sandmännchen, Minol und Plaste, Eulenspiegel und Magazin (mit Werner Klemkes zauberhaften Titelbildern), den Versandhäusern Konsument und Centrum, Zigaretten, Lebensmitteln, den berühmten Papier-Einkaufstüten, der „Schwalbe“, Lenin, Ulbricht und den Jungen Pionieren.

 
 © Archiv Musenblätter - Foto: Frank Becker

 
 © Archiv Musenblätter - Foto: Frank Becker

Begleitet werden diese optischen Erinnerungen an eine untergegangene Zeit von grundlegenden Texten, die Akademiker und Experten aus u.a. Deutschland und den USA zu den großen Themenbereichen Essen, Trinken Rauchen - Zuhause - Design & Mode - Unterhaltung & Erholung - Reise & Verkehrswesen - Arbeit & Bildung - Politik - Bildersturm & Gegenkultur verfaßt haben. Dr. Ina Pfitzner hat die englischsprachigen Texte ins Deutsche übertragen.
Wir zeigen Ihnen ein paar Seiten der im Buch abgebildeten Exponate - und dazu ein paar Objekte aus unserem Archiv.


© Archiv Musenblätter - Foto: Frank Becker


  © Archiv Musenblätter - Foto: Frank Becker

Das Wende Museum: Nach Erweiterung und Umbau präsentiert das Wende Museum seit dem 18. November 2017 seine mehr als 100.000 Exponate umfassende Sammlung von DDR-Artefakten und anderen Relikten des Kalten Krieges auf erweiterter, großzügiger Fläche im historischen Armory Building von Culver City, einem ehemaligen Zeughaus der US National Guard aus der McCarthy-Ära, das von Michael Boyd, Christian Kienapfel und Benedikt Taschen für das Museum umgestaltet wurde.

 

Das DDR Handbuch (Hrsg. Justinian Jampol)
© 2017 Taschen GmbH,  816 Seiten, flexibler Leineneinband mit Lesebändcen, 16,5 x 24 cm, 1,769 kg - zweisprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch – 2.000 Abbildungen, u.a. mit zahlreichen Aufnahmen der berühmtesten DDR-Fotografen aus dem Alltag und von offiziellen Anlässen.
ISBN 978-3-8365-7188-3
30,-
 
 © Archiv Musenblätter - Foto: Frank Becker

 
  © Archiv Musenblätter - Foto: Frank Becker

Weitere Informationen: https://www.taschen.com und www.wendemuseum.org