Jerusalem (2)

Das Trauma der Bombe

von Anja Liedtke

Foto © Anja Liedtke

Das Trauma der Bombe

Hadassah lautet der andere Name für Ester, die jüdische Königin des alten Testaments. Sie rettete ihr Volk vor dem persischen Gatten und dessen Ratgeber Haman. Eine amerikanische Krankenschwester hat das Haus und ein weiteres am entgegengesetzten Ende von Jerusalem gegründet. Hadassah pflegt zugleich die Wanderwege der Umgebung und stellt an Kreuzungen Kästen auf, aus denen sich der Wanderer mit Karten bedient. Ich bleibe kurz stillstehen, den Blick auf das Krankenhaus gerichtet in Gedenken an die Opfer des letzten Bombenattentats am Busbahnhof. Noch einmal spüre ich die Bewegung unter den Füßen, die durch den Boden des Busses ging. Obwohl ich zum ersten Mal eine Detonation erlebte, wußte ich sofort, daß es eine Bombe war. Im Bus blieben alle still. Draußen kamen Menschen von der Stelle des Anschlags über die Straße gelaufen, umgekehrt liefen Menschen zum Ort des Geschehens. Ich schaute nicht hin, starrte geradeaus, wie ich es mir für solch einen Fall vorgenommen hatte, lange bevor ich Israel bereiste. Mir war die Gefahr eines lebenslangen Traumas bewußt, darum wollte ich vermeiden, zerrissenes Menschenfleisch zu sehen. Geradeaus hoben die Leute Handys an die Ohren. Vom Haltestellenhäuschen löste sich ein Mann, trat auf den Bordstein, drehte sich zu den Leuten um, breitete die Arme aus, wohl um zu sagen, sie sollten nicht auf die Straße laufen, damit der Verkehr fließen kann und die Krankenwagen durchkommen. Ich konnte ihn nicht hören, der Busfahrer schloß schon die Türen und fuhr los. Immer wieder schaute er in den Spiegel, vielleicht, um festzustellen, ob wir uns normal verhielten. Ich meinte seinen Blick auf mir verharren zu sehen, als mir die Tränen kamen. Womöglich prüfte er, ob ich ruhig bliebe. Ich versuchte sogar noch mehr Ruhe herzustellen, indem ich die Hände vor die Ohren hielt. Ambulanzen rasten am Bus vorbei. Martinshörner waren bis in mein Heim zu hören, in das die Bewohnerin nach der Arbeit zurückkehren durfte, anders als diejenigen, die jetzt dort oben lagen, weil zufällig ihr Bus gesprengt worden war und nicht meiner. Die Verwundeten hatten mir zu nahe gelegen. Gut, daß ich sie nicht sehen mußte. Gut, daß ich den Blick aus den wüstensandverstaubten Fenstern auf die Bäume richten konnte, die sich so sehr abmühen, ihre großen Blätter aus den Ästen zu treiben. Gut, daß ich den Teppich sehen durfte, den ich mir für Liegestütze, Wärme und Schalldämpfung im drei Meter hohen Gewölbe des Zimmers gekauft hatte. Gut, daß ich mich mit Bochumer Bettwäsche zudecken konnte. Gut, Deutsche zu sein. Als junges Mädchen wollte ich alles sein, nur das nicht. Mein Doktorvater wies mich daraufhin, daß man durch Reisen nicht nur einen anderen Blick auf fremde Länder, sondern auch auf das eigene bekäme. In Amerika lernte ich, das deutsche Sozialsystem zu schätzen, in Israel, die Sicherheit zu genießen.


Foto © Anja Liedtke
 
Ich drehe mich zum weißen Weg im sanften, saftigen, leuchtenden Rosa, Rot, Lila, Blau, Gelb, Grün um und sauge den Duft der Mimosen ein. Das heißt leben. Der dumpfe Knall der Bombe verläßt die Ohren, sie werden frei für das feine Knistern und Lispeln der Piniennadeln, die sich aneinander und an den Zapfen reiben. Öfter wende ich mich um und schaue über den gleißenden Weg, weil ich das leise Geräusch für menschengemacht halte. Die Sonne heizt das Harz und intensiviert den Geruch. Ich muß mich tief bücken, um den wilden Anis, Salbei, Thymian und Rosmarin zu riechen, die ich fürs Abendessen pflücken will. Ich stopfe das Kraut in die linke Tasche der Trekkinghose, den Lavendel in die rechte, sodaß ich links dufte wie eine Pizzeria, rechts wie Omas Schlafzimmerschrank.

Eine flatterhafte Bewegung im Schatten eines Maulbeerbaumes, dessen Früchte wie langgewachsene Brombeeren ausschauen, zieht meinen

Sunbird (Lobelien-Nektarvogel - Foto © Cevennen1
Blick in das Dunkel, in dem ich nichts erkennen kann. Bis sich daraus Blauschwarzschillerndes bewegt und zum Eukalyptusbaum fliegt. Wüsste ich nicht, daß es ein Sunbird ist, hätte ich wie jeder Ausländer geglaubt, der Stahlblaue wäre ein Kolibri. Er bleibt aber nicht fliegend auf der Stelle stehen, um zu saugen, sondern setzt sich bequem hin und schaut, was der Orient an Leckereien zu bieten hat.
 
Ich folge dem Jerusalem-Trail an einem grünen und gelben Tal entlang, das durch eine Staumauer begrenzt ist. Der See ist entweder ausgetrocknet oder unter die Erde verlegt, um Verdunstung oder mutwillige Verschmutzung zu verhindern. Durch die letzten Pfützen rasen laute Quads. Um sicher zu gehen, laufe ich das Bachbett hinauf, doch es bleibt leer. Auch der Jordan führt bereits so wenig Wasser, daß das Taufen schwierig wird. In Zukunft soll das Trinkwasser per Tankschiff aus der Türkei importiert werden.
 
Über mir hängen jetzt der Militärfriedhof und die Autobahn zwischen Tel Aviv und Totem Meer. Auf der anderen Hügelkuppe liegt eine Siedlung, von der ich nicht sagen kann, welchen Status sie besitzt. Strom, Wasserleitungen und Busverbindungen sind vorhanden, folglich ist sie vom Staat akzeptiert.
 
Ich kehre um, da kein Wasser mehr zu erwarten ist, und im Jerusalemer Wald sollen Palästinenser lauern. Zwei amerikanische Touristinnen sind dort erstochen worden. Die Gefahr mag übertrieben werden. Sooft ich in ihm wanderte, habe ich nicht einmal Araber darin gesehen, geschweige denn bewaffnete.



© Anja Liedtke

Lesen Sie morgen hier den dritten Teil dieses farbigen Reiseberichts.