Jerusalem (1)

Stimmungsbilder aus Israels Natur

von Anja Liedtke

Foto © Anja Liedtke
Mandelblüten und Paradiesäpfel
 
Stimmungsbilder aus Israels Natur

Schwarzgraue Krähen werfen im Flug Knochen und Fischköpfe über meiner Terrasse ab. Sperlingsrabauken plustern sich auf, flattern, schreien und kämpfen. Graue Steintauben und zarte, kleine, rostrote Turteltauben gurren. Das Weibchen duckt sich unter die Brust des Männchens und zwickt ein Stück Zweig ab, den er im Schnabel trägt. Den Rest vom Ast hebt er vorsichtig über den Nacken des Weibchens und legt ihn am anderen Ende des Nestes ab. Seine Knopfaugen beobachten mich beim Kaffeekochen.
Das Weibchen legt im Abstand von vier Tagen zwei Eier und verbringt Stunden mit Schlafen und Wärmen, während ich hinter dem Rücken der Taube verstohlen Hühnereier in die scharfe Tomatensoße schlage, um mir ein typisch israelisches Frühstück zu bereiten.
Auf den flaumigen Ästen eines noch unbegrünten Essigbaums, der ausschaut wie das Geweih eines jungen Hirsches, landet ein Schwarm Spechte. Haben sie wie ich den Baum für tot gehalten und voller Maden gewähnt?

Die letzten Monate waren kalt und regnerisch. Die Wäsche trocknet nicht auf dem Balkon vor dem verrosteten Eisengitter. Doch die Abrollgeräusche der Reifen weisen nicht auf Regen hin. Heute werde ich versuchen, durch den roten Matsch zu wandern.
Grüne Papageien stürzen auf den Feigenbaum, dessen Blätter eßtellergroß wachsen. Das Kreischen zerstört den Dschungelklang der afrikanischen Bülbüls. Ihre braunen Leiber tragen schwarze Köpfe und gelbe Federn um die Kloake herum. All die Vögel sind im Winter im Land geblieben. Die halbe Million Zugvögel, unter ihnen die großen Storchenschwärme, fliegen im Frühling über den Korridor zwischen Mittelmeer und Rotem Meer. Wegen der ungeheuren Anzahl erfanden die Israelis jene Flugzeugtechnik, die es ermöglicht, automatisch Vogelschwärmen auszuweichen. Denn Schwärme ließen mehr Militärmaschinen abstürzen als Feinde.


Sperlingsrabauken plustern sich auf... - Foto © Heinrich Linse / piuxelio.de

Die katholische Franziskanerkirche Johannes des Täufers spielt ein Lied, das ich kenne, aber nicht benennen kann. Die goldenen Zwiebeltürme der russisch-orthodoxen Kirche antworten dumpf vom gegenüberliegenden Hang. Unter ihr läutet die Visitation-Church. Sie erinnert an die Begegnung zwischen Maria, der Mutter Jesu, und Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers, der hier geboren sein soll.


Russisch-orthodoxe Kirche - Foto © Anja Liedtke

Ich hieve den Rucksack voll Wasser, Hummus, Pitabrot, Datteln und Auberginen-Mus auf den Rücken und steige unter der langen Mauer des Klosters der Zionsschwestern hinab ins Tal von Ein Karem. Die Quelle, die in der Bronzezeit für die Besiedlung des Ortes gesorgt hat, ist ein winziges Rinnsal, aber das Tal, das das Wasser schuf, ist groß. Das alttestamentarische Bet Kerem ist wahrscheinlich identisch mit dem heutigen Vorort von Jerusalem, in dem Künstler und Studenten leben, der jedoch immer mehr entdeckt wird von Restaurants und Galerien, sodaß die Häuser der geflüchteten Moslems höchste Preise erzielen.


Foto © Anja Liedtke

An den Hängen hinauf steigen kilometerlange durch Trockenmauern gestützte Terrassen. Über Generationen haben Bauern ihre schmalen Äcker von Steinen befreit und mit ihnen Ebenen gebaut. Sie geben den Olivenbäumen flachen Grund, von dem das Wasser nicht abschwemmen kann. Die Erde unter den Oliven ist morastig rot. Am Ende der Regenzeit wird sie gepflügt. Über die Furchen wächst Klee. Zwischen den gelben Blüten stehen rote Anemonen und wilde lila Alpenveilchen. Vom Regen naß und schwer, sodaß sie sich kaum am Baum über der dunklen, zerklüfteten Rinde halten können, hängen zarte weiße Mandelblüten mit rosafarbener Mitte. Sie sind die ersten Fruchtbäume seit den winterlichen Orangen und Zitronen. Schon bald lassen sich die grünen Mandeln pflücken, in Salz tauchen und essen, wem ihr Flaum nicht unangenehm im Mund ist. Nach ihnen blühen und tragen Pflaumen, Bananen, der Wein im Golan und die Datteln, deren Fleisch die Kibbuzniks dicht unter den Palmblättern in Säcke packen, damit die Vögel nicht herangelangen. Die letzten Früchte des Jahres werden die Paradiesäpfel sein. Ich übersehe sie so lange zwischen den Ästen und Blättern, bis sich die Grünlinge verschämt verfärben und rot anlaufen. Dann werden Klee, Senf, wilder Hafer, Veilchen und Anemonen vertrocknet, ja verbrannt auf der Erde liegen. Nur noch die wie mit spitzen Morgensternen bewaffneten lila Disteln werden aus dem versengten duftigen Heu und Stroh herausragen. Auch der gelbe Ginster wird sich gebeugt haben und nichts Zartes wird mehr sein, nur die Dornen, für die das biblische Land bekannt ist.


Foto © Anja Liedtke

Durch das Frühjahr zappeln große Schmetterlinge. Im April grüne, im Sommer knochengraue Gottesanbeterinnen sitzen auf warmen sandgrauen Steinen. Sie maskieren sich im Frühling als frische, in der Mitte des Jahres als alte Zweige. Aber ihre Augen verraten das Lebewesen. Es verrenkt den Hals, wenn ich die Kamera niedersenke.

Gecko - Foto © Anja Liedtke
Geckos stieben von den heißen Felsen, drachenartige Eidechsen wetzen die Ölbaumstämme hinauf. Ihre Haut schaut so hell und trocken wie die Mauer aus, und ihre Bäuche schaben über Stroh und Staub.
Ein Schwarm schwarz-weiß-gestreifter Wiedehopfe fliegt mit breit gefächerten Schwänzen über mich hinweg. Ich erschrecke, rutsche auf dem Geröll. Die Schotterpiste wurde nicht zum Wandern angelegt, sondern als Arbeitsstraße zum Bau der unterirdischen Abwasserleitung, die sich durch das Tal zieht und den Quellbach ersetzt hat. Unter mir fließt das Abwasser von Ein Karem und vom Hadassah-Krankenhaus, das auf seinem Hügel über die höchsten Pinien und Zedern hinausragt. In dem Gewirr von Hügeln und Tälern gibt es mir Orientierung, sodaß ich nach Ein Karem finde, wo die Turteltauben mich anschauen, wann immer ich die Küche betrete. Ich bin nie allein, wenn ich morgens aufstehe, wenn ich nachts nicht schlafen kann. Knopfaugen sehen nach mir.


Knopfaugen sehen nach mir... - Foto © Anja Liedtke


© Anja Liedtke

Lesen Sie morgen hier den zweiten Teil dieses farbigen Reiseberichts.