Ein Meister auch der kurzen Form

Evelyn Waugh – „Ausflug ins wirkliche Leben“

von Frank Becker

Ein Meister auch der kurzen Form
 
Evelyn Waughs literarische Bonbons
in einer hinreißenden Sammlung
 
Daß er über ein superbes Erzähltalent von hohem Rang verfügte, wissen wir aus seinen Romanen, von denen wir Ihnen → hier ja schon einige vorstellen konnten. Evelyn Waugh (1903-1966) war ein Meister der Sprache, darin und dem wie süße Säure ätzenden Humor seinem Zeitgenossen P.G. Wodehouse (1881-1975) verwandt, was dank großartiger Übersetzungen auch dem deutschsprachigen Leser vermittelt wird. Scharfsichtig in seiner Beobachtung der Dekadenz der Upperclass seiner Zeit, der Epoche des britischen Kolonialismus auf ihrem Höhepunkt, scharfzüngig in der Beschreibung des allgegenwärtigen Snobismus und der heiß ersehnten Skandale der Londoner Gesellschaft, der entsetzlichen Langeweile in den Kolonien und der Blasiertheit einer das Geld der Eltern oder deren Erbe verschwendenden vergnügungssüchtigen und inhaltslosen Jeunesse doré.
Der Diogenes Verlag legt noch einmal eine erfolgreiche Sammlung von Erzählungen vor, die all das romanfüllende in ihrer Kürze ebenfalls haben, zugleich aber auch die ungeheure erzählerische Vielseitigkeit Evelyn Waughs belegen: „Ausflug ins wirkliche Leben“.
 
Darin porträtiert er in 15 pointierten Erzählungen eben jene hoch zu Roß trabende „Gesellschaft“, zeigt jedoch mal süffisant („Liebe in schlechten Zeiten“), mal bitter lakonisch wie in der Titelgeschichte „Ausflug ins wirkliche Leben“, dann köstlich abgedreht in „Zwischenfall in Azania“ oder unendlich traurig und doch versöhnlich, wie in „Miss Bella gibt eine Gesellschaft“ deren unaufhaltsamen Abstieg. Kein Zynismus trübt das in feiner  Ironie mit spitzer Feder servierte Lesevergnügen, der unbestechliche Blick jedoch ist entlarvend. „Engländers Heim und Herd“ führt in eine intrigante dörfliche Scheinidylle, die man noch heute zumindest in den ITV-TV-Serien um Inspector Barnaby finden kann – gemischt mit der Schlitzohrigkeit des absteigenden, alteingesessenen Landadels, der mit Raffinement um seine Existenz kämpft. Roald Dahl scheint bei Evelyn Waugh in die Schule gegangen zu sein, zumindest lassen die tief schwarzhumorige Preziosen „Der gleichgesinnte Fahrgast“ und „Mr. Lovedays kleiner Ausflug“ das möglich erscheinen.
In „Taktische Übung“, einer von einigen Ehegeschichten, die Evelyn Waugh ganz offenbar umtreiben, sieht es im Patt am Ende ganz so aus, als hätten zweie ihren Meister gefunden… oder doch nicht? Und böse, ganz böse ist der gallige Humor in „Der Mann der Dickens liebte“.
 
Und wenn Waugh zu Beginn seine Erzählung „Liebe in Schutt und Asche“ (Love Among The Ruins) bemerkt: „Trotz ihrer Versprechungen vor den letzten Wahlen hatten die Politiker das Klima noch immer nicht geändert.“, klingt das doch ganz aktuell…
Eine meiner liebsten Geschichten ist ja die köstliche „Keuzfahrt“ (Cruise: Letters from a Younf Lady of Leisure) geworden, die eine der jungen Damen der oben erwähnten Jeunesse dorée in ihrer Leichtfertigkeit und –pardon- grenzenlosen Dummheit vorführt.
Ein Buch, das von Seite zu Seite unentbehrlicher wird, der idealre Begleiter auch auf Reisen mit der Bahn und Busfahrten – ich konnte beobachten, daß mich öfter die amüsierten Blicke von Mitreisenden trafen, wenn mir unvermittelt glucksendes Lachen entschlüpfte.
 
Evelyn Waugh – „Ausflug ins wirkliche Leben“
und andere Meistererzählungen, ausgewählt von Margaux de Weck und Daniel Kampa
Aus dem Englischen von Otto Bayer, Elisabeth Schnack, Matthias Fienbork und Hans-Ulrich Möhing.
© Evelyn Waugh - 2013/2018 Diogenes Verlag, 366 Seiten – ISBN: 978-3-257-24436-6
13,- € (D)  / 17,- sFr * / € (A) 13,40

Weitere Informationen:  www.diogenes.ch