Nablus

Eine Reise ins Westjordanland (1)

von Anja Liedtke

Foto © Anja Liedtke
Nablus
 
Eine Reise ins Westjordanland (1)
 
„Ani roza monit le Ein Kerem - Jom Shabbat be shaa sheva ba boker.“ „Dann rufen Sie mich eine Viertelstunde vorher an“, antwortet der Taxifahrer am Telefon. Es ist weder üblich noch nötig, einen Tag im Voraus zu bestellen. Pünktlich um sieben in der Frühe wartet er vor dem Café Carma in Ein Karem. Die Straßen sind menschenleer. Keine Busse fahren. Es ist Schabbat. Nur die Mitglieder der evangelischen Gemeinde deutscher Sprache von Jerusalem sind unterwegs zum Zionstor im arabischen Ostteil der Stadt. An einem lila Reisebus wartet ein junger Mann. Er trägt schwarze, modern geschnittene Haare, keine Kippa liegt darauf, folglich ist er entweder säkularer Jude, Christ oder Palästinenser. Um den Bus herum schlendert eine blonde, glatthaarige Frau in wenig femininen Kleidern. „Du auch?“, versuche ich es auf Deutsch.
„Ja“, antwortet sie. „Heiß heute für einen Ausflug.“
„Kann man wohl sagen“, bestätige ich, „besonders, wenn man so eingepackt ist. Ich habe erst gestern Abend die Mail bekommen, daß wir keine Röcke tragen sollen, sondern lange Hosen, keinen Ausschnitt und vollständig bedeckte Arme. Mein Shirt reicht aber nicht bis über die Handgelenke, glaubst du, das genügt?“, hole ich nähere Erkundigung ein und strecke die Arme vor wie eine Schülerin im 19. Jahrhundert in Erwartung der Schläge für schmutzige Hände.
„Ich denke schon“, sagt die Blonde. Ich frage sie nach ihrer Aufgabe ba’eretz, im Lande Israel. Sie arbeite an der Rezeption im Paulushaus. „Ich habe Hotelfachfrau gelernt, eine Tourismusausbildung draufgesetzt und bin katholisch.“ Was läge da näher, als im Pilgerhospiz gegenüber dem Damaskustor tätig zu sein. Das Gebäude schaut aus wie eine Kreuzritterburg. Es wurde vor 100 Jahren vom Deutschen Verein vom Heiligen Lande errichtet und von den Maria-Ward-Schwestern geleitet.
Die weiteren Ausflügler sind ältere Damen. Sie schaffen im österreichischen Hospiz oder haben vor der Rente in der von der Gattin Kaiser Wilhelms 1899 gegründeten Auguste-Viktoria-Stiftung auf dem Ölberg gearbeitet.
Zwischen ihnen steht ein Übersetzer mit doppelter Staatsbürgerschaft. Wegen seines israelischen Passes darf er eigentlich nicht in die schtachim, die Palästinensergebiete.
Um ihn herum warten Freiwillige im sozialen Jahr oder im Zivildienst. Sie arbeiten im Behindertenheim und im Kinderheim. Im Altenheim pflegen Volontäre von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste die letzten Überlebenden des Holocausts und lassen sich die Seelen heilen vom Konflikt, der von Generation zu Generation weitergegeben wird. Denn solches können diese uralten ehemaligen Deutschen leisten, indem sie nach Monaten mit ihrer Pflegerin Deutsch reden, indem sie die Schuld aufheben und verzeihen.


Nablus, Hinterhof - Foto © Anja Liedtke
 
Der Pfarrer der deutschsprachigen Jerusalemer Gemeinde sammelt seine Schäfchen. Seine blonde Kurzhaarfrisur aus den 40er Jahren, die er nicht miterlebt hat, leuchtet in der Morgensonne. Im Einsteigen blättert er in der Bibel, um uns von Sichem zu erzählen, wohin wir jetzt fahren. Die Römer nannten den Ort Neapolis, Neustadt. Die Araber können das harte P nicht sprechen, so wurde Nablus daraus, nach Ramallah und Hebron die mit 100 000 Einwohnern drittgrößte Stadt im Palästinensergebiet. In den beiden Flüchtlingslagern und den 14 jüdischen Siedlungen um den Ort herum wohnen weitere 100 000 Menschen.
Am Jakobsbrunnen in Sichem sprach Jesus von Nazareth mit einer Samaritanerin und brach gleich zwei Tabus: Er sprach mit einer Frau und mit einer vom anderen Stamm. Er redete vom lebendigen Wasser. Die Samaritanerin brauchte eine Weile, bis sie begriff, daß er nicht das Quellwasser meinte, sondern den Glauben.
Noch immer leben 700 Samaritaner in der Nähe Tel Avivs und auf einem der beiden Berge, zwischen denen Nablus liegt.
 
Doch wir besuchen nicht sie, sondern einen jungen deutschen Automechaniker kroatischer Herkunft mit Namen Ivy im College für Mechatronik, wo er mithilft, das Curriculum für die Lehre zusammenzustellen. Ivy ist von der GTZ, der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit nach Palästina geschickt worden, nachdem er in Afghanistan und in Ägypten tätig gewesen ist und Arabisch gelernt hat. Ivy wirbt bei palästinensischen und deutschen Autofirmen, Geld in die Ausbildung junger Palästinenser zu stecken, die kein so gutes Abitur geschafft haben, daß sie studieren dürften. Frustriert beginnen sie die Lehre, doch bald staunen ihre Kollegen an der Universität über den praxisnahen Unterricht, und es kommt vor, daß eine Studentin in die Mechatronikerlehre wechselt, weil sie mit den Händen schaffen will. Sie ist zugleich die erste Frau in der Automechanik von Palästina. Ivy ist bemüht, die Achtung des Handwerks gegenüber den akademischen Berufen zu steigern, indem er auf „Germany“ verweist, wo er als Kfz-Mechaniker gut verdient und Ansehen genießt. In Palästina will jeder studieren, andernfalls gilt er als „loser“. Allerdings ist die Lehre nicht von gleich hoher Qualität, da nur Deutschland das duale Ausbildungssystem besitzt. Die Lehre der jungen „Palis“, wie Ivy sie liebevoll nennt, bleibt eher theoretisch, sodaß der erste Arbeitgeber nicht bereit ist, viel Lohn zu zahlen für jemanden, der die Praxis noch lernen muß.


Recycling - Foto © Anja Liedtke
 
In der Werkstatt werden Autos geprüft, ob sie ihres Gebrauchtwagenpreises würdig sind, ob sie legal erworben wurden oder ob ein Wagen aus zweien zusammengeschweißt ist. In derselben Halle rüsten Azubis ein Fahrzeug auf Gas um. Nebenan leuchtet die Sonne auf eine Solareinheit, die Wasserstoff und Sauerstoff voneinander trennt. Ein Modellauto wird mit dem Wasserstoff betankt und fährt und fährt und fährt leise. In acht Jahren will Israel den gesamten Autoverkehr auf erneuerbare Energien umstellen, um sich von erdöl- und gasexportierenden Ländern und Konzernen unabhängig zu machen. Also muß auch Palästina den neuesten Stand der Technik beherrschen. Ivy erklärt, daß die unterschiedlichen Staaten der Welt voraussichtlich verschiedene regenerative Energieantriebe verwenden werden, je nachdem, welche am einfachsten zugänglich ist. Der junge Mann gerät in Zorn, als er berichtet, wie lange die Autokonzerne alternative Antriebe in den Schubladen versteckt hielten. „Jetzt muß die ganze Entwicklung nachgeholt werden, die wir längst haben könnten! Jahrzehntelang verschwenden wir das kostbare Öl, verschmutzen Luft und Wasser damit und zahlen 100%, von denen wir nur 40 nutzen! In der Bäckerei übten wir den Aufstand, wenn wir für zehn Brötchen bezahlten und vier bekämen! An der Tankstelle bezahlen wir ohne Murren.“ Ivy ruft dem Busfahrer zu, er solle die Klimaanlage ausstellen, während er auf uns wartet, die verbrauche 2% Energie. Der Fahrer versteckt sich im Kofferraum vor der Sonne, wir schwitzen, weil der Bus nicht vorgekühlt ist.

 
 Lesen Sie morgen an dieser Stelle den zweiten Teil von Anja Liedtkes Reportage.