Ausbildung

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Ausbildung
 
Von Ernst Peter Fischer
 
Es ist nicht zu übersehen, wenn man durch eine Fußgängerzone läuft, in der Straßenbahn sitzt oder sonst wo Menschen begegnet. Die Art Homo sapiens ist dabei, eine der großen Errungenschaften der Evolution, den aufrechten Gang, aufzugeben. Ihre Mitglieder laufen stattdessen mit abgeknickten Köpfen durch die Welt. Früher sagte man, dass Menschen ein Brett vorm Kopf haben, und heute sieht man, daß sie ihre Handys davor halten. Es scheint keine Rolle zu spielen, was Menschen gerade machen – ob sie eine Vorlesung hören, mit Freunden bei einer Tasse Kaffee zusammen sitzen, bei einem Fußballspiel zuschauen, mit dem Zug unterwegs sind, sich mit ihren Kindern auf einem Spielplatz vergnügen, in einem Supermarkt einkaufen oder daheim vor dem Fernsehapparat sitzen. Immer sieht man, wie ihre Lust, den Kopf zu beugen und abzuknicken und auf das Display ihrer iPhones oder iPads zu schauen, alles andere verdrängt und das Bedürfnis nach den bunten Bildchen dort unüberwindlich zu sein scheint. Ob man die Mitglieder auf der Regierungsbank im Bundestag und die Abgeordneten an ihren Plätzen oder die Phalanx der Gaffer bei einem Selbstmordattentat im Fernsehen betrachtet – stets hat ein Teil der gezeigten Gruppe den Blick nach unten auf sein elektronisches Spielzeug gerichtet, und was sich in der Umgebung abspielt, stellt für den seinen Kopf beugenden und somit unterwürfigen Handy Gucker bestenfalls – dafür aber mit höchst präzisem Sinn – eine Randerscheinung dar. Wie lange wird es noch dauern, bis der erste Gast einer Talkrunde sich seinem Smartphone zuwendet oder der deutsche Bundestrainer sich weniger seinen Spielern und mehr seinem Handy zuwendet, um wie Uli Hoeneß während des Spiels zu erfahren, wie die Aktienkurse gerade stehen? Die Welt ist so langweilig ohne das Flimmern auf dem Display, und so klickt man dauernd herum. Manche Leute schaffen es nicht einmal, eine Rotphase an einer Ampel zu warten, ohne in die Tasche zu greifen und nach Nachrichten auf dem iPhone zu gieren, ohne die sie anscheinend die Straße nicht überqueren können. Manchmal wird mit dem iPhone auch telefoniert, was vor allem Menschen gerne tun, die gelangweilt Kinderwägen schieben oder auf dem Platz vor einem Kaufhaus stehen, damit man sie auf jeden Fall bemerkt.
 
Wer sieht, wie emsig die Kopf-unten-Generation an ihrem großen Experiment mit evolutionären Folgen arbeitet und sich auf das Verschwinden des aufrechten Gangs vorbereitet, wird fragen, welcher Vorteil mit dem geneigten Kopf verbunden sein könnte. Eine Antwort könnte lauten, daß die iPhones und iPads verhindern, daß sich Menschen mit sich selbst beschäftigen, was unerwartete Ergebnisse zeitigen kann. Sie sind nicht mehr bei sich und nur noch außer sich. Sie finden nichts mehr in sich, vor allem nicht das, was früher einmal Bildung hieß und konkret eine Einbildung meinte (wobei dafür auf Lateinisch auch „Information“ gesagt werden kann). Früher zählte die Einbildung, also das Bild, das man sich von Gott, von sich selbst, von der Kultur und der Welt machte. Aber diese Bildung gilt heute nichts mehr. Man darf nicht mehr eingebildet sein und muß sich dafür ausbilden lassen. Das will die Politik und das liefert das Handy, eine Ausbildung. Die Bilder sind nicht mehr in mir. Sie sind außerhalb von mir, und ich bin außerhalb der Kultur, aber das merkt man dann nicht mehr.