Weltklasse beim Neujahrskonzert des Klavierfestivals Ruhr in der Essener Philharmonie

Klavierquartette von Mozart – Fauré – Dvorak

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

Klavierquartette von Mozart – Fauré – Dvorak
 
Weltklasse beim Neujahrskonzert des Klavierfestivals Ruhr
in der Essener Philharmonie
 
Ewgeny Kissin ist nach 2008 und 2014 zum 3. Mal beim Klavierfestival Ruhr dabei. 1984 erreichte er seinen internationalen Durchbruch in Moskau mit Chopins Klavierkonzerten, wurde von Karajan gefördert, errang zahlreiche internationale Preise und wurde Ehrenmitglied der Royal Academy of Music in London. Das Emerson String Quartett konnte 2016 sein vierzigjähriges Gründungsjubiläum feiern. Die Literatur für Klavierquartett ist im Vergleich zu der der Streichquartette oder Klaviertrios durchaus begrenzt. Ständige Ensembles sind rar. So finden sich, wie auch bei diesem Konzert, oft Musiker zusammen, die nicht regelmäßig miteinander musizieren. Wenn Ewgeny Kissin also mit dem Emerson Quartett zusammen musiziert, sind die Erwartungen groß und die Anhänger der Kammermusik zur Stelle.
 
Zu Beginn des Neujahrskonzertes in Vorfeld des Klavierfestivals gab es Mozarts KV 478 von 1785. Mozarts Klavierquartette wurden vom Verleger 1785 bestellt. An neuer Klaviermusik waren die Wiener Musikliebhaber zwar interessiert, kamen aber mit den technischen Schwierigkeiten an ihre Grenzen und akzeptierten sie auch musikalisch nicht. Als Hausmusik waren die beiden virtuosen Klavierquartette nicht geeignet. Gilt Haydn als der Erfinder des Streichquartetts und Klaviertrios, so Mozart mit diesem Stück als der des Klavierquartetts. Seine beiden Klavierquartette verkauften sich damals schlecht. Heute nach mehr als 200 Jahren Konsum mozartscher Musik ist das Publikum aber begeistert. Schroff beginnt der 1. Satz mit dem kurzen, punktierten Unisono-Tema. Klavier, Violine (Philip Setzer), Bratsche (Lawrence Dutton) und Cello (Paul Watkins) sprengten mit dem sinfonisch angelegten Werk in der großen Essener Philharmonie mit ihrer für Kammermusik anscheinend nicht optimalen Akustik den kammermusikalischen Rahmen nicht. In der Durchführung ließ sich die Bratsche sonor gegenüber dem durch die Harmonien wandernden Klavier vernehmen. Im Andante beginnt Kissin mit einem ruhigen unaufgeregten Klaviersolo bevor sotto voce die Streicher einfallen. Die wiederholten 1/8 im Cello liefern den Pulsschlag der Musik, und zum Thema der Streicher perlen die Klavierläufe. Im munteren Rondo wird die differenzierte und nuancierte Spielkultur der Musiker deutlich. Jede Inhomogenität wäre zu hören. Nach irreführendem Trugschluß geht dieses kammermusikalische Kleinod synkopisch zu Ende.
 
Über seinen ehemaligen Klavierschüler Gabriel Fauré schrieb Camille Saint-Saens am 7. 4. 1877 im Pariser „Journal de Musique“: „…ein neuer Meister, der vielleicht der furchterregendste unter allen ist, denn er verbindet mit tiefen musikalischen Kenntnissen eine ungeheure melodische Fülle und eine Art unbewußter Naivität, deren Kraft man am wenigsten widerstehen kann…“. Direkt im Anschluß an die wunderbare Violinsonate, erstmalig bei Breitkopf und Härtel in Leipzig publiziert, begann Fauré mit seinem c-Moll Klavierquartett op.15, obwohl das Interesse des Musikpublikums in Paris vor allem der Grande opera und dem Salon galt. Man konkurrierte damals in Frankreich nach dem verlorenen Krieg 1870/71 auch kammermusikalisch mit der deutschen Musik eines Brahms und Mendelssohn. Fauré setzte wie Brahms in seinem 3. Klavierquartett das hochvirtuose Scherzo als 2. Satz vor das Adagio des 3. Satzes. Seine lang umworbene Geliebte hatte sich von ihm getrennt. Der Zuhörer glaubt an Faurés emotionalen Katastrophen teilzunehmen, wenn das Eröffnungsthema des 1. Satzes stürmisch und opulent ihn mit sinfonischem Fluß sogleich in Bann schlägt. Gegen wunderbare Streicherkantilenen (Eugen Drucker, Geige)spielt das Klavier im wahren Wortsinn seine flinken Läufe. Wie im Sommernachtstraum saust mit flottem Pizzicato das Scherzo vorüber. Im folgenden 3. Satz beginnt gegen klare, entrückte Akkorde des Klaviers das Cello seine Kantilene, die später, wenn der Satz etwas Fahrt aufnimmt, von den Geigen ausgesponnen wird. Verhalten singen die Streicher gegen hoch romantische, gebrochene Klavierpassagen an. Nach dem ausgespielten Ende im Pianissimo verharrt das Publikum lange in Stille, bevor der winterliche Husten im Saal durchbricht. Das Allegro molto des Schlußsatzes wird beherrscht vom dem punktierten, kurzen, aufsteigenden Thema und dem hochvirtuosem Klavierpart des temperamentvollen Pianisten, dessen Konzentration in seinem Gesicht sichtbar ist. Nach bedeutsamer Fermate und Generalpause verdichtet sich die Musik strepitoso zum Elfentanz und dem Finale furioso. Das Original dieses Finalsatzes wurde nach der ersten Aufführung des Quartettes 1880 völlig umgeschrieben und vom Komponisten wohl zerstört. Zu hören ist jetzt eine thematische Zusammenfassung der vorangegangenen Sätze. Ist Faurés Musik impressionistisch? Zeitlich fällt die Entstehung des Quartetts zwar in die Zeit von Monet und Pissarro (1.Impressionistenausstellung 1874) aber atmosphärisch-dunstiger Klang wie bei Debussy oder Ravel ist bei den kräftigen, stürmischen Themen und melodisch-traurigen Kantilenen noch nicht zu hören.
Aus dem gleichen Jahr stammt Dvoraks Klavierquintett Nr. 2 A-Dur op. 81. Dvorak stammte aus kleinen Verhältnissen (Gasthaus und Metzgerei), bekam mit sechs Jahren Geigenunterricht, spielte nach seinem Orgelexamen Bratsche in einem dörflichen Tanzorchester, um sich über Wasser zu halten. Auf Empfehlung von Johannes Brahms wurden seine Slawischen Tänze publiziert, womit er schnell bekannt wurde. Er, dessen Intelligenz von ganz besonderer Art war, der nur in Tönen dachte (meinte Janacek), reiste nach Moskau, St. Petersburg, mehrfach nach England und übernahm 1892 die Leitung des National Conservatory of Music in New York. 1895 kehrte er zurück nach Prag und versuchte sich in seinen letzten Jahren als Opernkomponist.
Dvorak starb 1904 am Schlaganfall wohl in Folge eines seit Jahren bestehenden Hochdrucks. Wie alt wäre Dvorak bei adäquater Blutdruckbehandlung geworden und was hätte er noch alles schreiben können?
 
Dvoraks herrliches Klavierquartett op. 81 gehört zu seinen oft gespielten Kammermusikwerken. Paul Watkins eröffnete hingebungsvoll den 1. Satz mit einer wunderbaren, lyrischen Cello-Kantilene bevor mit der Macht des Ensembles die musikalische Entwicklung anbricht: Eine der schönsten kammermusikalischen Einleitungen. Die Seitenthematik beginnt die Bratsche, rhythmisch und melodisch üppig. In dem Andante der Duma schwebt die romantische Klaviermelodie über den zunächst dunklen Streichern. Der melancholische Mittelsatz wird von einem Vivace vivacissimo unterbrochen. Mit liedhaften Abschnitten, leisem Alt-Solo der Bratsche unter rhythmisch komplizierten Tempiwechseln endet der Satz molto tranqillo im Pianissimo. Nach halsbrecherischem Scherzo stürmt zuletzt die Polka mit Fugato, eingestreutem sostenuto und nach Unisono-Absturz aller fünf dem furiosen Schluß entgegen. Tschechische Folklore, die direkt und ohne Umwege in die Fußspitzen fährt.
 
Nach lang anhaltendem Applaus und Bravi gab es Blumen und zwei Zugaben: Das hochvirtuose Scherzo im prestissimo molto aus Schostakowitschs Klavierquintett op 57 und den wunderbaren, langsamen Satz aus dem Brahmsschen Klavierquintett. Welch ein Neujahrskonzert. Ein großer Kammermusikabend, der Lust macht auf das der französischen Klaviermusik gewidmete Klavierfestival Ruhr 2018 mit 63 Konzerten und Ereignissen ab 09.03.2018. Zum 2. Stiftungskonzert anläßlich des 30jährigen Jubiläums des Klavierfestivals am 09.03.2018 in der Historischen Stadthalle Wuppertal kommen Weltstars der internationalen Konzertszene (siehe https://www.klavierfestival.de/): Martha Argerich, Ann Sophie Mutter, Andras Schiff, Thomas Quasthoff und andere mehr. Auf zum Johannisberg in Wuppertal!
 
Johannes Vesper