Wie viele Menschen habe ein solch intimes Konzert allein für ein Violoncello jemals gehört?

Peter Bruns bei „Saitenspiel“

von Johannes Vesper

Peter Bruns im Mendelssohn-Saal - Foto © Johannes Vesper

Violoncello Solo:
Peter Bruns bei „Saitenspiel“
 
Sein Motto lautet: „Leidenschaftliches Musizieren ohne soziale Barrieren vermittelt den Reichtum klassischer Musik adäquat für alle“. Konsequent entwickelte er das Projekt „Haydn hinter Gittern“: Klassische Musik für Häftlinge, die den Klang seines Cellos zwischen Gänsehaut und Tränen erlebten. Peter Bruns unterrichtet als Professor für Violoncello an der Musikhochschule Leipzig und tritt als Solist in den großen Konzertsälen Europas (Berliner Philharmonie, Musikverein Wien, Kölner Philharmonie) und der Welt auf. Mit Kai Vogler und Roglit Ishay spielte er als Dresdner Klaviertrio zusammen. Am 23.01.18 war er mit einem Solokonzert im Mendelssohn-Saal der Historischen Stadthalle zu hören.
Daß „Saitenspiel“ ausschließlich Cello-Sololiteratur bot, geschah auf Wunsch des Mäzens dieser Konzertreihe Detlev Muthmann, dessen Herz besonders lebhaft und warm für das Violoncello schlägt.
 
Einige Bemerkungen vorab zur Geschichte des Violoncellos
Das Violoncello wurde seit Beginn des 17. Jahrhunderts zunächst als Violoncino (kleiner Kontrabaß) gebaut und um 1700 auch schon in Orchestern gespielt. Im 18. Jahrhundert verdrängte es zunehmend die bis dahin geschätzte Viola da Gamba, wobei noch 1757 die Viola da Gamba Instrumentalisten der Pariser Oper gegen den Gebrauch des Cellos protestierten. Erstaunlich bleibt es, wie Nicola Amati (135-1611) und Antonio Stradivari (1644-1737) den Anforderungen, die erst viel später an das moderne Konzertcello gestellt wurden, in ihren unübertroffenen Instrumenten vorausahnten und verwirklicht haben. J.C. Bach (1685-1750) begriff schnell die klanglichen Vorzüge und Möglichkeiten des Violoncellos und förderte die Entwicklung mit seinen Solosuiten und Solosonaten für das Instrument. Bis zur Mitte des 19. Jh. wurde das Cello wie zuvor die Viola da Gamba zwischen den Beinen mit den Knien gehalten, bevor sozusagen als arbeitsmedizinische Erleichterung für die Cellisten der Stachel zum Abstützen des Instrumentes entwickelt wurde.
 
Zu Beginn zwei Capricci für Violoncello solo von Joseph Dall’Abaco (1710-1805), dem Solocellisten der Bonner Hofkapelle, der neben einer Oper und viel Kammermusik 40 Cellosonaten sowie etliche Capricci für Solocello geschrieben hat und dem vorgeworfen wurde, einen Giftanschlag auf seinen Dienstherren, den Bayrischen Kurfürsten geplant zu haben. Damit gilt er als Ausnahme. Cellisten tun so etwas in der Regel nicht. Frühbarock, zweistimmig und mit großem Ton erklingen diese munteren Capricci auf dem Violoncello von Carlo Tononi (Venedig 1730), welches auch Casals schon gespielt hatte. Bei dem Druck der Stahlsaiten von ca. 55 kg über Steg auf Decke und Stimmstock ist der konzertante große Klang des Violoncellos mit dem der Viola da Gamba nicht mehr zu vergleichen.

Natürlich darf in einem Konzert für Cello-Solo Bach nicht fehlen, der mit seinen 6 Suiten für Cello-Solo die Rolle des Violoncellos als Konzertinstrument definierte. Bachs Musik spiegelt seine Psyche wider, der, fest im Glauben stehend und für die Musik brennend, immer klar, strukturiert, emotional soli deo gloria musizierte und komponierte. Ein Zusammenhang zwischen Wahnsinn, Sucht und Musik wie bei Schumann, Reger oder auch Sibelius ist aus dem umfangreichen Werk nicht zu erkennen. Die Suite Nr 2 d-moll - nach der Zahlensymbolik der Töne entspricht sie dem 7. Psalm Davids - beginnt mit dem aufsteigenden d-Moll Dreiklang, dem Adonai-Thema (hebräisch Herr), schreibt der Cellist in seinem Text zum Konzert. Die in affenartiger Geschwindigkeit hastig abgespielte Courante verweht wie in Insektenflug bei Starkwind und auch bei der eiligen Gigue am Ende ist die Bachsche klare Architektur des Stückes kaum zu erkennen.


Peter Bruns am Violoncello von Carlo Tononi  - Foto © Johannes Vesper

 
Bei Max Reger (1873-1916) erlebte die Sololiteratur für Streicher eine Renaissance. Die Cello-Suiten gehören zu den harmonisch und kontrapunktisch einfacheren und weniger überladenen, weniger maßlosen Spätwerken des Komponisten. Mit seinen Bearbeitungen von Bach bezieht sich Max Reger dabei bewußt auf überlieferte Musik, die er mit seiner komplizierten Psyche und musikalischen Sprache erfüllt. Damit bereitet er den musikalischen Neoklassizismus von Komponisten wie Prokofjew, Hindemith oder auch Ernst Toch s.u. vor. Selbstkritisch, skrupulös, unsicher wie er war, hätte Reger gerne manche seiner Werke vernichtet. Gottseidank erfuhr seine herrliche, strukturell an den Bachschen Solosuiten orientierte Cello-Suite in d-Moll nicht so ein Schicksal. Was Reger bewogen hat, 1914 eine Suite mit Gavotte und Gigue zu schreiben, bleibt unklar. Natürlich handelt es sich nicht um musikalische Formen des Barock. Ironie? Humor? Parodie auf die Bachschen Suiten? Wunderbare Kantilenen, zuletzt im Pianissimo schwelgendes Largo entsprechen einer spätromantischen Musiksprache mit Ausblick in das 20. Jahrhundert. Das spieltechnisch höchst anspruchsvolle Werk wird selten gespielt.
 
Ernst Toch (1887-1964) wurde als 17jähriger mit der Uraufführung seines 6. Streichquartettes sehr bekannt und begann das Medizinstudium, brach es aber bald wieder ab und wurde nicht wie Max Reger ehrenhalber zum „Dr. med.“ promoviert. Vor Nazi-Deutschland fliehend, emigrierte er 1933 in die USA, lehrte Musiktheorie an verschiedenen Universitäten und komponierte Filmmusik für Hollywood (Berühmt seine Musik im „Der Glöckner von Notre Dame“). Seine 3 Movements Op. 90c lyrisch, witzig und im Adagio con espressione sehr ernst, empfiehlt er, mit „tiefem Atem“ zu interpretieren, was der Cellist beherzigte.
 
Nach der Pause dann Jean Sibelius (1865-1935). Thema und toccataartige Variationen (1887) erinnern an die Bach-Suiten. Virtuos stürmt das Cello mit Doppelgriffen rauf und runter, mit Arpeggios, Tonleitern und chromatischen Sexten spätromantisch daher. Unter Flageolett und Pizzicato verklingt das romantische Werk
Ernest Bloch (*1880 in Genf; † 1959 in Portland, Oregon) verfolgte in diesem Spätwerk eine „ökonomischere Schreibweise“ als mit seinen dissonanten und wilden Kompositionen der 20er Jahre. „ Aus tiefster Seele, inbrünstig“ klagte das „wie ein Tier atmende“ Cello. Nach dieser auch an Bach orientierten Komposition ergreifende Stille vor dem Applaus.
 
Mit Punena 2 op. 45 von Alberto Ginastero (1916-1983) endete das nachdenklich stimmende Kammerkonzert der Sonderklasse. Das Werk wurde zum 60. Geburtstag von Dr. Paul Sacher aus Basel komponiert, der die moderne Musik in besonderer Weise gefördert hat. Die Notenfolge seines Namens Es-A-C-H-Re wird bearbeitet zu indigenen Stimmungen. Zum Liebeslied aus dem Hochland (Puena=Hochland) mischen sich wilde südamerikanische Rhythmen.
Nach begeistertem Applaus und Blumen gab es die Sarabande aus der C-Dur Suite von J. S. Bach als Zugabe.
 
Und der Zuhörer verläßt nachdenklich das Konzert. Wie viele Menschen habe ein solch intimes Konzert allein für ein Violoncello jemals gehört? Gibt es eigentlich ein Grundrecht auf musikalische Bildung? Peter Bruns schrieb zu diesem Konzert eine umfassende und kenntnisreiche Einführung. Am Tag nach dem Konzert stellte er dieses Programm in einer Wuppertaler Grundschule vor. Von solchen Interpreten und solchem Engagement lebt die klassische Musik.
 
Johannes Vesper