The fool on the hill

Schillertheater NRW Wuppertal: Wiederaufnahme „Faust 1“

von Frank Becker

 
The fool on the hill

Schillertheater NRW Wuppertal: 
Wiederaufnahme „Faust 1“ am 14.4.2001

Denkwürdig war der Moment, als sich am Ostersamstag der Vorhang des Wuppertaler Schauspiels zu einer letzten Staffel der legendären „Faust 1“-Inszenierung des scheidenden Intendanten Holk Freytag in der Wiederaufnahmeregie von Andreas Ingenhaag öffnete. Treuebekenntnis und Sympathiekundgebung der Theatergemeinde war der bis auf den letzten Platz besetzte Saal. Gespannte Erwartung lag in der Luft: Wie würde sich das Stück, wie die Charaktere entwickelt haben? Gewinn und Verlust standen am Ende des Suchens nach ewiger Jugend und des Strebens nach allumfassendem Wissen auf der Bilanz.
 
Im Vorspiel auf dem Theater glänzte Hans-Christian Seeger als Theaterdirektor wie eh´, ja mit noch einem Schuß Humor mehr als zuvor, zu seiner Seite Gerhard Palder als puristischer Dichter und Jörg Reimers bewährt deftig als Lustige Person. Ebenso auf der Haben-Seite der Prolog im Himmel, den der ausgezeichnete Volker Niederfahrenhorst  wie seit Jahren als Mephisto ironisch dominiert. Hinter dem Rücken des nichts ahnenden Faust schließt er mit dem HErrn (Markus Seuß „Down Under“) die bekannte Wette um dessen Seele, während von links ein burleskes Trio von Erzengeln (This Maag, Torsten Hermentin, Siegfried W. Maschek) seinen ätherischen Senf dazu gibt. Hier kann der Antichrist zitiert werden: „Am meisten lieb´ ich mir die vollen frischen Wangen...“, denn mit Seuß, Maag, Hermentin, Wolfgang Vogler, der die Zueignung gesprochen hatte, Tessa Mittelstaedt als Lieschen und Meerkatze und Patricia Hermes als liebenswerter Schlampe Marthe Schwerdtlein befand sich Ingenhaag zweifelsohne ebenfalls im „Haben“. Dazu Maschek als Famulus Wagner in intriganter Servilität ebenfalls brillant wie zuvor und abermals This Maag, der mit dem Schüler ein kleines Kabinettstück ablieferte. Nicht zu vergessen Ingeborg Wolff, als Erdgeist tiefsinnig und als Hexe erfrischend komödiantisch.
 
Dem von Zweifeln, Resignation und Lebensgier geschüttelte Faust, in früheren Aufführungen von Bernd Kuschmann dynamisch geprägt, konnte Kuschmann diesmal kaum einen Hauch dessen abgewinnen, was ihn einmal ausgemacht hatte. Dem Gegenspieler Mephisto in keiner Phase gewachsen ist sein Faust nur noch müde, hat längst aufgegeben, man nimmt ihm weder Zweifel noch brünstige Geilheit ab. Er ist so ausgeleiert wie sein mittlerweile bodenlanger Schal, so abgewetzt wie seine derben Schuhe, unglaubhaft wirkt jede Emotion in dem vierstündigen Kraftakt. Ähnlich verhält es sich mit Friederike Tiefenbachers Gretchen, dessen einstige frische Unschuld und endliche Schuldbeladenheit der bloßen Darstellung gewichen sind. Das dramatische Schicksal dieser armen Seele rührt nicht mehr, Routine hat wie bei Faust das Sentiment ersetzt. Der herzliche Applaus für das Ensemble und Holk Freytag war dennoch reichlich.
 
Während drinnen Faust beim Osterspaziergang die Worte „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche...“ sprach, setzte draußen heftiges Schneetreiben ein. Mit hochgeschlagenem Mantelkragen und in die Stirn gezogenem Hut trat man den Heimweg an,  Hölderlins „Brot und Wein“ im Sinn: „Ringsum ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse / Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg. / Satt gehn heim, von den Freuden des Tages zu ruhen die Menschen, / Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt / Wohlzufrieden zu Haus...“