Eine heiter zustimmende Gemeinde

Notizen zu Pina Bausch

von Peter Hohberger

Notizen zu Pina Bausch
 
Ein Abend im Theater, ein Pina Bausch-Abend. Der Eindruck, den ich vom Publikum habe, ist der von Eingeweihten, von einer heiter zustimmenden Gemeinde, die bereit ist, alles großartig zu finden.
     Viel Hysterie tobt sich auf der Bühne aus. Eine Hysterikerin verkündet leise singend: „Ich habe eine Maus, sie beißt nicht.“ Gerührte heitere Reaktion der Zuschauer neben mir. Dann ruft eine andere Hysterikerin exaltiert: „Ich habe einen Hahn.“ Eine andere wendet sich ans Publikum mit den Worten „Ich bin so traurig, mir ist kalt“. Ja, was soll man da machen? Mein Freund Martin, ein Rechtsanwalt, den wir zu diesem Abend überredet hatten, sagt aggressiv: „Was soll das?“ Für mich allerdings gab es auch an diesem Abend ergreifende Momente. Ich vermochte allerdings meinen Freund nicht davon zu überzeugen. Wir saßen in einer Gemeinde, die das Lächerliche ebenso köstlich fand wie das wirklich Ergreifende. Doch an diesem Abend sah ich die Aufführung mit den Augen meines Freundes, der nicht zu den Eingeweihten und Kennern zahlte und dem alles auf die Nerven ging, dem ich jedoch vorher begeistert von dieser Aufführung erzählt hatte. Ich vergaß, daß er ein nüchterner vielbeschäftigter Mann ist, der jetzt hier seine Zeit absitzen mußte bei hysterischem Geschrei, Gerenne und Gefuchtel und wildem Haareschwenken.
     Warum müssen sie gerade heute so übermäßig schreien, dachte ich und hatte dem Freund gegenüber ein schlechtes Gewissen. In der Pause blickte mich der Freund stumm und prüfend an. Ich las in seiner Miene Ratlosigkeit, nicht über das, was er gerade gesehen hatte, darüber war sein Urteil fertig, nein, seine Ratlosigkeit rührte daher, daß er meinem Geschmack nicht mehr trauen konnte und sich fragte: Was gefällt dem eigentlich an dem ganzen unsäglichen Getue?
 
 
© Peter Hohberger