Rätsel - Kämpfe - Brüche

Heinrich von Kleists Geburtstag jährt sich heute zum 240. Mal

von Johannes Vesper

Heinrich von Kleist - Peter Friedel pinx.
Rätsel – Kämpfe - Brüche
 
Heinrich von Kleist und sein Museum in Frankfurt/Oder
 
Von Johannes Vesper
 
Er stammte aus einer uralten Familie von Militärs und Offizieren. Sein Geburtshaus in Frankfurt/Oder steht nicht mehr. Es wurde 1945 im Krieg zerstört. Nur eine Tafel hinter dem Chor der riesigen Marienkirche erinnert daran. Heinrich von Kleist besuchte das französische Gymnasium, trat bald nach dem Tode des Vaters 15jährig 1792 in das Frankfurter Graderegiment ein, wie es in der Familie üblich war und nahm an den Koalitionskriegen der neunziger Jahre gegen Frankreich teil, wurde zum Leutnant befördert und schied 1799 auf eigen Wunsch aus dem Militär aus. Er studierte an der ehrwürdigen Brandenburgischen Universität (1506–1811) in seiner Heimatstadt Philosophie, Physik, Mathematik und Staatswissenschaft und gehört mit den Brüdern Humboldt, Carl Philipp Emanuel Bach u.a. zu den berühmten Studenten der alten Viadrina. Das Studium brach er aber auch nach 3 Semestern ab, nahm Unterricht in Deutsch (!) und spielte Kammermusik (Klarinette). Er verlobte sich  1800 mit Wilhelmine von Zenge, die er glaubte, mit seinen Denkübungen, mit Hinweisen zu Stil und Ausdruck ihrer Briefe (auch ihrer Liebesbriefe) erziehen und korrigieren zu müssen. In dieser Zeit scheint er nicht unglücklich gewesen zu sein. Immerhin schrieb er an seine Wilhelmine (4. September 1800): „Wenn ich so im offenen Wagen sitze, der Mantel gut geordnet, die Pfeife brennend, neben mir Brockes (ein Freund!), tüchtige Pferde, guter Weg, und immer rechts u. links die Erscheinungen wechseln, wie Bilder auf dem Tuche bei dem Guckkasten - und vor mir das schöne Ziel, u. hinter mir das liebe Mädchen - u. in mir Zufriedenheit - dann, ja dann bin ich froh, recht herzlich froh.“ Aber von einer merkwürdigen Unruhe ließ er sich weg treiben vom lieben Mädchen hinter ihm, irrte er ohne „schönes Ziel“ vor ihm und ohne Sinn durch Europa, hetzte nach Dresden, Chemnitz, Bayreuth, Bern, Paris, in die Schweiz, Oberitalien, erneut nach Paris, wird auf dem Schlachtfeld aufgegriffen, sucht eine Stelle im Staatsdienst - eine Stelle als Volontär im preußischen Wirtschaftsministerium bietet keine Zukunft -, kuriert sich bei dem befreundeten Arzt Dr. Georg von Wedekind in Mainz aus, reist nach Berlin, sucht eint eine Stelle in Königsberg, wird 1807 als mutmaßlicher Spion inmitten eines napoleonischen Heeres festgenommen und im Chateau de Joux bei Pontarlier eingesperrt, wo schon Gabriel de Riqueti Graf von Mirabeau 1775 in Gefangenschaft gesessen hatte.
 
Dort entstand ein Porträt von ihm, gemalt möglicherweise von einem Mitgefangenen, möglicherweise für einen Steckbrief. Das Bild ist beschriftet

Heinrich von Kleist. unbekannter Künstler, Öl auf
Büttenpapier 1807 Kleist-Museum Frankfurt (Oder)
mit: „Henry de Kleyst, Poète Prussien“. Auf dieses Gefangenschaftsbild ist das Museum besonders stolz. Erst 2017 wurde es vom Deutschen Literaturarchiv Marbach dem Kleist Museum übergeben.
Nie ist es Kleist gelungen, seine Existenz längerfristig zu sichern, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, obwohl er seit 1802 als Schriftsteller und Literat publizierte hatte. Die spärlichen Einkünfte reichten nie aus. Immer wieder hatte ihm seine Schwester unter die Arme gegriffen und so das kleine Vermögen der Familie aufgebraucht. Seit Februar 1810 lebte er in nach wie vor ungesicherter Existenz in Berlin, wo er, zwar befreundet mit Clemens Brentano, August Neidhardt von Gneisenau und anderen großen Intellektuellen der Zeit, aber endgültig ohne tragfeste persönliche Beziehung am 21. November 1811 sein finales Glück an der Landstraße neben dem kleinen Wannsee im gemeinsamen Selbstmord mit der todkranken Henriette Vogel gesucht hat.
Kurz vor seinem Tod schrieb er an seine Schwester: „Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war“.  War er psychiatrisch erkrankt? Homosexuell? Wurde er von seiner Onanie im von ihm so gelobten Julius Spital Würzburg etwa chirurgisch geheilt? Das ist alles völlig unklar. Er beschreibt seinen Rundgang durch das Julius-Spital-Spital, in dem damals auch chronisch-psychisch Kranke untergebracht waren. Der Besuch hat in schwer beeindruckt: „O lieber tausend Tode, als ein einziges Leben wie dieses! So schrecklich rächt die Natur den Frevel gegen ihren eigenen Willen!“… Aber eine Behandlung dort ist nicht belegt. Die Quellen zu Kleists Leben sind dürftig. Immerhin gibt es ein Obduktionsprotokoll. Danach fanden die obduzierenden Ärzte viel verdickte Galle, woraus sie entsprechend den medizinischen Vorstellungen der Zeit auf einen hypochondrischen Choleriker mit exzentrischem und krankem Gemütszustand schlossen. Kühn!
 
Wer über Heinrich von Kleist, Leben und Werk mehr wissen will, der wird in Frankfurt/Oder fündig. Seit 1922 gibt es in der Geburtsstadt des Dichters ein Kleist-Museum, zunächst in seinem Geburtshaus, seit 1969 in der spätbarocken, ehemaligen Garnisonschule. In dieser Schule, gebaut 1777/78, wurden ehemals Kinder von Soldaten, die in Frankfurt stationiert waren, bis in die 1920er Jahre unterrichtet. In der Folgezeit verschieden genutzt, wurde das Gebäude 1968/69 saniert, umgebaut und für die Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte zur Verfügung gestellt. Nach der Wiedervereinigung wird das Kleist-Museum als vereinseigene Einrichtung vom Bund, der Stadt Frankfurt, dem Land Brandenburg gefördert. Für die Sammlungen, die Bibliothek, die Studien- und Mitarbeiterräume wurde bald weiterer Platz benötigt und 2004 europaweit ein Architektenwettbewerb für einen Erweiterungsbau ausgeschrieben. Unter 204 Wettberbern gewann das Architekturbüro Lehmann Architekten Offenburg/Berlin, unter dessen Planung der Neubau 2013 fertiggestellt wurde (Fördervolumen von 5.316.370 €). Die Kombination aus barockem Palais und modernem Glas-Betonbau bietet nicht nur funktionell den Ausstellern optimale Möglichkeiten unter einem Dach sondern beeindruckt vor allem auch ästhetisch.


Kleist-Museum - Foto © Lorenz Kienzle

Die neue Dauerausstellung zu Kleists Werk und Leben nimmt schon im Titel die Probleme um den Dichter auf: Rätsel-Kämpfe-Brüche. Bei spärlicher Quellenlage entstand doch ein Bild des erfolglosen Dichters, seiner Zeit, seines Lebens, seiner Familie, seiner zahllosen Reisen und seines Todes. Der Besuch dieses wunderbaren Museums wird hiermit dringend empfohlen als Höhepunkt für literarisch interessierte Fahrradfahrer auf dem Oder-Radweg, als lohnendes Ausflugsziel für Berlinbesucher und als Attraktion für Touristen und Kurgäste im Osten Brandenburgs bzw. auf dem Weg. Heute feiern wir Heinrich von Kleists 240. Geburtstag (18.10.1777).


Heinrich von Kleists Grab am Kleinen Wannsee vor 2011 - Foto © Johannes Vesper

Weitere Informationen: www.kleist-museum.de/