Als hätte einer der großen Meister es gemalt

„Tulpenfieber“ von Justin Chadwick

von Renate Wagner

Tulpenfieber
(Tulip Fever - GB, USA 2017)

Regie: Justin Chadwick
Mit: Alicia Vikander, Christoph Waltz, Dane DeHaan, Judi Dench, Zach Galifianakis, Holliday Grainger, Jack O’Connell, Tom Hollander u.a.
 
Das 17. Jahrhundert war eine große Zeit für die Niederlande. Reger Handel hatte eine bürgerliche Gesellschaft, die sich keinem aristokratischen Joch fügte, reich gemacht. Die Künste blühten nicht zuletzt deshalb, weil sie dem Prestige der Reichen dienten: Wer es sich leisten konnte, ließ sich von einem der vielen, bestens ausgebildeten und oft hoch begabten Malern porträtieren.
Und man hatte ein neues Produkt gefunden, mit dem man meinte, reich werden zu können: das „Tulpenfieber“, das die Handlung dieser Geschichte als wichtiges Element durchzieht, gab es wirklich. Der Handel mit Tulpenzwiebeln erzielte unglaubliche Summen, je exotischer die Färbung der Endprodukte, umso teurer. Doch es war ein total überhitzter Spekulationsmarkt, der viele, die er reich gemacht hatte, dann mehr oder minder von einem Tag zum anderen ins finanzielle Debakel stürzte.
 
Der reiche Cornelis Sandvoort (eine prächtige Rolle für Christoph Waltz, mit bemerkenswerter Ausgewogenheit gestaltet) allerdings machte sein Vermögen mit den Produkten aus den fernöstlichen Kolonien, und er hatte in Amsterdam alles, Geld, ein großes Haus, Reputation, nur eines nicht: Gattin und Kind waren ihm gestorben, der Wunsch nach einem Erben plagte ihn, und wie jeder alte Mann zu jeder Zeit hatte er kein Problem, eine junge Frau zu „kaufen“.
In diesem Fall arrangierten die Nonnen des Klosters St. Ursula (kann man eine weise Äbtissin edler besetzen als mit Judi Dench?), die übrigens mit der Zucht von Tulpenzwiebeln reich wurden (!), für die von ihnen betreuten Waisen Ehen dieser Art. Vielleicht war es dem Leben im Kloster vorzuziehen, die Frau eines reichen Mannes zu sein, wenn auch der Druck, um jeden Preis ein Kind zu gebären, schwer auf Sophia lastet – gespielt von Alicia Vikander so blaß und schön, daß man gänzlich hingerissen ist.
Wenn nun der junge Maler ins Haus kommt (hinreißend in seiner aufrichtigen Verliebtheit: Dane DeHaan), würde ein konventionelles Drehbuch ihn für das Kind der Kaufmannsgattin sorgen lassen, aber „Tulpenfieber“ wurde von einem Großmeister geschrieben, von jenem Tom Stoppard, der für „Shakespeare in Love“ den „Oscar“ bekam und hier das Wunder einer vollkommenen Geschichte wiederholte.
Denn er hat eine raffinierte Doppelhandlung gestrickt, in der Sophias Magd Maria, die auch als Erzählerin fungiert (Holliday Grainger mit der vollen Erdung der Frau aus dem Volke) eine große Rolle spielt. Sie hat ihre Probleme mit dem Fischhändler William (Jack O’Connell), der wiederum das Opfer eines von Stoppard raffiniert eingefädelten, aber nicht unglaubwürdigen Irrtums wird.
Und dann geht es um ein Kind, das unterschoben wird, einen herrlichen Gauner (Tom Hollander), der sich als Arzt ausgibt, aber zu jeder Schurkerei bereit ist, es geht um beabsichtige Flucht und plötzliche Reue und um hoch vergnügliche Tragikomik (wenn Zach Galifianakis als Trunkenbold die Tulpenzwiebel aufißt, die ein Vermögen wert sind und dem Liebespaar die Flucht ermöglichen sollen)…
 
Und am Ende scheint nicht alles wirklich glücklich auszugehen, im Gegenteil, aber der betrogene Cornelis Sandvoort, den man dank der naiven Nobelesse, die Waltz ihm gibt, geradezu ins Herz geschlossen hat, darf in die Kolonien (nach Batavia) gehen und dort ein neues Glück finden. Und was die Äbtissin betrifft, so hat sie schon einiges „gezaubert“ – und man kann sich für die getrennten Liebenden ein eventuell mögliches Happyend über den Film hinaus ausdenken, denn nicht alle, die als tot gelten, müssen auch tot sein…
 
Und daß sich hier nicht nur das Wunder von „Shakespeare in Love“, sondern auch von „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ wiederholt, geht auf das Konto von Regisseur Justin Chadwick, der das Amsterdam der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert so dicht und glaubhaft auf die Leinwand stellt, als hätte einer der großen Meister es gemalt.
 
 
Renate Wagner