Bienen

Donna Leon – „Stille Wasser“

von Frank Becker

Bienen

Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall
 

Commissario Guido Brunetti braucht dringend eine Auszeit, eine Feststellung, der sich auch seine besorgte Ehefrau Paola anschließt. Ich will hier nicht weiter auf den wirklich peinlich konstruierten, schrecklich überzogenen Anfang dieses wunderbaren Romans eingehen, ihn lediglich einen Wermutstropfen gleich zu Beginn nennen. Brunetti läßt sich krank schreiben und Paola vermittelt ihm für zwei Wochen eine Villa auf der vor Venedig in der Lagune gelegenen Insel Sant´Erasmo, die Verwandten aus ihrem Clan der Faliers gehört. Dort findet Brunetti nicht nur Ruhe und die gewünschte Muße zum Rudern und Lesen. Er entdeckt in dem 70jährigen Davide Casati, der die Villa verwaltet, einen alten Ruderkameraden seines Vater, und er findet in ihm auch einen neuen, wenn auch schweigsamen Freund, der eine schwere Last zu tragen und irgendetwas zu verbergen scheint.
 
Donna Leon führt uns in ihrem neuen Roman in ein anderes, weniger bekanntes Venedig, das der abgelegenen Inseln Murano, Sant´Erasmo, Burano, Torcello und Treporti. Sie setzt in ihrem 26. Fall für Brunetti auf wohltuende Entschleunigung, literarisches „Slow Food“ für den Leser. Man steigt mit Brunetti und Casati in das schlanke Ruderboot, ein traditionelles venezianisches puparin, durchmißt mit den beiden unter der steil am Himmel stehenden Sommersonne die verzweigten Kanäle der Lagune, erlebt die scheinbar intakte Natur mit Wasservögeln, Feldern auf den Inseln- und den Bienenstöcken, die Casati weit verstreut unterhält. Sie haben sicher schon aufgemerkt, als ich von der „scheinbar“ intakten Natur sprach, denn Donna Leon wäre nicht Donna Leon, wenn da nicht ein Haken wäre.
Brunetti sieht, daß verschiedene Bienenvölker sterben, bemerkt, daß Casati bei den Touren hie und da Bodenproben vom Grund der Lagune nimmt, tote Bienen in Plastikröhrchen steckt und unterwegs GPS-Daten notiert. Casati erklärt sich nicht. Als er eines Morgens eine Verabredung mit dem Commissario absagt, nach einem schlimmen Gewitter vermißt wird und Brunetti ihn schließlich mit Hilfe von Capitano Andrea Dantone von der Capitaneria di Porte vor San Michele ertrunken findet, wird der Ermittler Brunetti wieder aktiv, der herausfinden will, was vor 20 Jahren die Ursache der Geschehnisse von heute war.
 
Donna Leon unterstreicht mit Brunettis 26. Fall, der so wirklich keiner wird, ihr Mißtrauen und das der Italiener schlechthin gegenüber allmächtigen Konzernen, inkompetenten, möglicherweise korrupten Behörden und dem kriminellen Umgang mit dem Umweltschutz. Sie sticht damit am Beispiel Italien in ein international präsentes Problem. Wie sauber ist unser Planet noch, oder anders gefragt: Wie vergiftet ist er bereits? Donna Leon rückt Brunetti ins Zentrum, stellt  ihm Ispettore Vianello und Commissario Claudia Griffoni prominent zur Seite und weist diesmal Brunettis Familie, Vicequestore Patta und Signorina Elettra eher Nebenrollen zu. Das liest sich hervorragend, zieht magnetisch von Kapitel zu Kapitel – und endet pessimistisch offen. Bewegend. Die im Vor- und Nachsatz eingebundene Karte der Lagune, die man immer wieder aufschlägt, ist eine brillante Idee und sehr hilfreich.Donna Leon beherrscht ihr Handwerk.
 
Donna Leon – „Stille Wasser“
Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall
© 2017, Diogenes Verlag, 343 Seiten, Ganzleinen, Schutzumschlag – ISBN 978-3-257-06988-4
24,- € (D) / sFr 32,-* / 24,70 € (A)
 
Weitere Informationen:  www.diogenes.ch