Weichgespült

„Ein Kuß von Beatrice“ von Martin Provost

von Renate Wagner

Ein Kuß von Béatrice
(Sage femme -  Frankreich 2016) 

Regie: Martin Provost
Mit: Catherine Deneuve, Catherine Frot, Olivier Gourmet, Mylène Demongeot u.a.
 
Die Altruistin und die Egoistin. Die in ihrer beruflichen Umwelt und ihrem privaten Umfeld stark verankerte „Gutmenschin“ und die vereinsamte, rücksichtslose Individualistin. Und – was macht eine alte Frau, wenn das Ende naht und sie ist ganz allein?
Dieser Film ähnelt prinzipiell vielen anderen, die die Franzosen derzeit drehen. Sie beginnen mit realistischen, glaubhaften, auch kritischen Voraussetzungen. Und lassen die Geschichte am Ende hoffnungslos im Kitsch ersaufen. So auch hier, wo Catherine Frot und Catherine Deneuve einander als harte Gegensätze gegenüberstehen, bevor sie sich am Ende gerührt in die Arme fallen. Weil Kino auch so viel mit Verlogenheit zu tun hat…
Hier ist Claire, die Hebamme, und man bekommt sie von Anfang an als die einfühlsame, liebenswerte, ganz in ihrem Beruf und den Mitmenschen aufgehende Frau präsentiert – absolut glaubhaft, schön, daß es solche Menschen gibt. Was in dem Film eindeutig zu viel wird, um das gleich zu sagen, sind die Szenen im Spital, immer wieder Geburten, angstvolle Mütter, gefährdete Neugeborene, Krankenbetten… ohne anderen dramaturgischen Zusammenhang, als um immer wieder zu zeigen, daß Claire ihren Beruf auf die gute, menschliche Art ausführt. So etwas kann nur die allerbegeistertsten Mütter und Großmütter interessieren, kaum ein normales Kinopublikum…
 
Und dann wird Claire plötzlich mit Béatrice konfrontiert, die sie seit Jahrzehnten nicht gesehen hat, die Frau, die einst die Geliebte ihres Vaters war und damit das Familienleben von Claire und ihrer Mutter ruiniert hat – ebenso wie das Leben ihres Vaters, der nicht ertragen hat, daß Béatrice ihn verließ. Und nun steht genau diese Frau vor der Tür, einsam, mit Gehirntumor, Operation und Tod vor den Augen, dabei immer noch dieselbe unbeschwerte Egoistin, die ihr Geld beim Wetten und Zocken verdient und genau weiß, wie sie sich in das gütige Herz von Claire hineinmanipuliert. Denn sonst hat sie niemanden.
Nun besteht der Film von Regisseur  Martin Provost nur noch daraus, wie sich die Frauen an einander annähern, bis sie sich wie Mutter und Tochter umarmen und küssen, wie Claire außerdem mit Hilfe des Nachbarn, eines tüchtigen Fernfahrers, aufblüht. Ihr Sohn schmeißt zwar das von Claire erwünschte Medizinstudium, wird aber Geburtshelfer werden, und das Kind, das seine Freundin erwartet, wirft weiteren Sonnenschein über das allgemeine Leben, so weichgespült, wie man es im französischen Film neuerdings immer serviert bekommt. Selbst wenn es letal wird, kann immer noch verklärt gelächelt werden.
 
Catherine Frot, in Frankreich populärer als bei uns, ist ideal für den „unscheinbaren“, aber seelenvollen Typ Frau – kann aber auch anders, wie sie in „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“ zeigte, eine französische Florence Foster-Jenkins Version, für die sie 2016 den César (Frankreichs Schauspieler-„Oscar“) als Beste Hauptdarstellerin erhielt. Nicht vielen Schauspielerinnen hätte man die unausstehlich „brave“ Vegetarierin, Nichttrinkerin, Nichtraucherin, Tugendboldin, die ihren Sohn allein aufgezogen hat, abgenommen und sie noch lieb gewonnen – Catherine Frot schafft es mühelos.
Die Béatrice wäre allerdings weit eher eine  Rolle für Isabelle Huppert gewesen als für Catherine Deneuve, der man das rücksichtslose Abweichen von der bürgerlichen Konvention nicht wirklich glaubt. Natürlich ist sie immer noch die Deneuve, aber ihre Rolle ist es nicht.
Ganz realistisch als der vernünftige, sympathische, gestandene Mann wirkt Olivier Gourmet als der naturverbundene Fernfahrer, und eine köstliche Charge liefert die unverhohlen alt gewordene Mylène Demongeot als Béatrices halbseidene Kollegin im „Milieu“…
Immerhin, ein kleiner  realistischer Aspekt am Ende: Das Spital, in dem Claire gearbeitet hat, muß als unrentabel schließen, und ihre Bewerbung in einem hypermodernen Krankenhauskomplex („Erfahrung hat kein Gewicht gegenüber Technologie“, sagt ihr die Frau, die sie dort einführen will, „die Welt von morgen wird nichts mehr mit der zu tun haben, die sie gekannt haben“), führt natürlich zu nichts. Alles, nur das nicht… aber das hätte man Claire, der braven, altmodischen, menschlichen Hebamme, die jetzt mit ihrem Fernfahrer glücklich und außerdem Großmutter werden darf, auch nicht zugetraut.
 
Trailer   
 
Renate Wagner