Drei Minuten

(Aus einem Vortrag)

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Drei Minuten
(Aus einem Vortrag)
 
Es geht darum, Einbrechern das Gefühl zu vermitteln, daß sie an der Balkontür mindestens drei Minuten beschäftigt sind, bis sie in das Haus eindringen können. Stoßen Gauner auf zu große Risiken, weichen sie von ursprünglichen Plänen ab und wenden sich dem Nachbarn zu, wo sie auf weniger Schwierigkeiten zu treffen hoffen. Drei Minuten können eine Ewigkeit sein. Viele Hausbesitzer sichern deswegen ihre Balkontür, hängen eine Kameraattrappe über dem Haupteingang auf und graben Fallgruben aus, in denen Giftschlagen auf Opfer warten. Sie überwachen hintere Teile des Hauses durch Bewegungsmelder, die den Bereich durch grelle Lichtsignale überstrahlen und erschrecken sich zu Tode, wenn sie selbst mal in das Visier ihrer Bewegungsmelder gelangen. Manche spielen sogar Hundegebell ein, welches den Einbrecher daran erinnert, daß sein Einbrechen nicht nur ungern gesehen wird, sondern auch schmerzhafte Nachwirkungen haben kann. Der Einbrecher muß wissen, daß er in einem Haus genauso stetig erwartet wird wie die ungeliebte Schwiegermutter, die auch dauernd unangemeldet erscheint, um nachzuprüfen, ob ihre selbstgemalten Mopsbilder tatsächlich immer an der Wohnzimmerwand zu sehen sind. Wer begreift schon den Beruf des Einbrechers, der ja auch immer davon ausgehen muß, daß er selbst in dem Augenblick, wo er sich an anderer Leute Balkontüren zu schaffen macht, von windigen Berufskollegen ausgeraubt wird. Wie muß der Gedanke schmerzen, daß nun in seiner Abwesenheit andere in seiner Unterwäsche nach Goldmünzen suchen und seine Krimskramsschubladen durchwühlen? Manche Einbrecher lassen dann oft auch Bewegungsmelder und Kameraattrappen als Beute mitgehen, um sich selbst damit vor ihren nacheifernden Kollegen zu schützen. Aber sollten wir in diesem Augenblick nicht alle mal innehalten? Sollten wir nicht drei Minuten darüber nachdenken, daß ein Einbruch bei unseren Mitmenschen der falsche Weg ist um glücklich zu werden? Was ist das für ein Leben, wo alle beim anderen einbrechen um ihn auszurauben? Ich habe nun auf der Veranda ein Poster von mir und meiner Familie aufstellen lassen, das uns alle weinend und niedergeschlagen zeigt. „IST ES DAS WERT?“ steht dazu in roten Buchstaben über der Szene. Jeder Einbrecher mit einem reinen Herzen wird doch nun von seinem Plan abweichen, unser Haus verschonen und das der kinderlosen Nachbarn überfallen - hoffe ich.  
 
 
© Erwin Grosche