Ergebnis des Türkeireferendums für Deutschland: Integration gescheitert

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Ergebnis des Türkeireferendums für Deutschland:
Integration gescheitert
 
Von Ulli Tückmantel
 
Wenn man noch davon ausgehen darf, daß unser Land auch in einem Super-Wahljahr nicht ausschließlich nach den Maßstäben des größtmöglichen Beifalls regiert wird, dann folgen für die große Koalition aus dem Erdogan-Referendum zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie in der Republik Türkei ein paar sehr ernstzunehmende Aufgaben; ihre folgenlose Betroffenheit haben die üblichen Kabinettsmitglieder nun ausgiebig genug getwittert.

Nachdem Bundeskanzlerin und Bundesregierung sich nicht zu schade waren, hier lebende Ausländer eines Nicht-EU-Staates darüber abstimmen zu lassen, ob in ihrer ersten Heimat eine defekte Demokratie durch eine faktische Diktatur ersetzt werden soll, müssen Merkel und Koalitionäre das Ergebnis zur Kenntnis nehmen und politisch beantworten: Die Integration einer zahlenmäßig erheblichen Minderheit der deutsch-türkischen Bevölkerung (63 Prozent der Referendums-Wahlteilnehmer) in die westliche Zivilisation ist in der Vergangenheit gescheitert.
CDU und SPD sollten darlegen, was sie daraus für die Gegenwart und Zukunft ableiten: Wann werden sie die gut integrierte Mehrheit der Deutsch-Türken endlich als „unsere“ Türken gegen den Neandertaler aus Ankara verteidigen? Wann werden Erdogans Ditib-Hetzer dorthin geschickt, wo sie hingehören? Und was muß geschehen, damit bei der Integration der Flüchtlinge nicht so viel schief geht wie zwischen Deutschen und Türken in den vergangenen 40 Jahren?

Außenpolitisch kann Deutschland nur daran gelegen sein, daß die EU gegenüber Erdogans Türkei mit einer Stimme spricht. Es darf in Berlin kein verständnisvolles Sondergehör mehr für türkische Anliegen geben. Mit oder ohne Flüchtlingsabkommen muß die EU an Eindeutigkeit gewinnen – und zwar nicht erst dann, wenn das erste Todesurteil vollstreckt wird. Innerhalb der Nato ist vor allem die ehrliche Analyse wichtig, ob das Mitgliedsland Türkei nach der politischen „Säuberung“ seiner Armeeführung überhaupt noch in der Lage ist, den Bündnisverpflichtungen nachzukommen; ein zusätzlicher europäischer Flugzeugträger im Mittelmeer wäre wohl verläßlicher.

Zivilgesellschaftlich stellt sich die Frage, wie der oppositionellen 48,7-Prozent-Hälfte der türkischen Bevölkerung zu helfen ist, die natürlich längst ahnt, daß unter der Erdogan-Diktatur eine politische Iranisierung ihres Landes droht. Daß es mit Erdogan kein gutes Ende nehmen kann – geschenkt. Über die Zukunft entscheidet, ob es jetzt gelingt, die wenigen verbliebenen Kräfte und Strukturen zu stärken, die eines Tages für einen Neuanfang zum Besseren stehen können. Daß dieser Tag kommt, ist keineswegs gewiß.
 

Der Kommentar erschien am 18. April 2017 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.