Waves Impressions

Musik von Darius Mihaud, Keiko Abe und Max Reger

von Johannes Vesper

Schlagwerkgruppe Elbtonal, ganz links Dirigent Christian Kunert - Foto © Johannes Vesper

Milhaud - Abe - Reger
 
Das 7. Sinfoniekonzert in der 154. Saison
des Wuppertaler Sinfonieorchesters
 
Von Johannes Vesper
 
Mit dem Konzertstück „Der Ochse auf dem Dach“ von Darius Milhaud spielte sich das Orchester warm und wurde das Publikum in das 7. Sinfoniekonzert eingestimmt. Dave Brubeck hielt seinen Lehrer Darius Milhaud (1892-1974) für ungeheuer begabt. Einer seiner anderen Schüler, Steve Reich, war jüngst mit der Video-Oper „Three Tales“ im Barmer Opernhaus zu sehen. Als Mitglied der französischen Komponistengruppe „Groupe des Six“ (Wortführer: Jean Cocteau) um Honegger, Poulenc  u.a., lehnte er die deutsche romantische Musik - vor allem die Musik Richard Wagners  - aber auch die französische impressionistische Musik um Debussy ab und wandte sich der zeitgenössischen Unterhaltungsmusik zu. Milhaud hielt sich von 1916-18 in Brasilen auf. Beim dem jetzt aufgeführten Konzertstück mischen sich der vitale Rhythmus brasilianischer Volksmusik und brasilianisches Temperament mit postimpressionistischem Orchesterklang. In dieser harlekinesken tänzerischen Volksfestmusik mit eingängigem Hauptthema strebt der Komponist in seiner Polytonalität keinerlei stimmige Harmonik an.
 
Dann Keiko Abes „Waves Impressions“ für Schlagzeug-Ensemble und Orchester. Die japanische Komponistin und Marimbaphon-Virtuosin, geb. 1937, gründete 1962 das Xebec Marimba Trio und spielte Volks- und Pop-Musik in Konzerten, auf CDs und sehr erfolgreich im japanischen Rundfunk. Sie beeinflußte Yamaha bei Design und Produktion der Marimba-Instrumente, und auf ihre Veranlassung hin wurde der Tonumfang der neueren Marimbaphone von 4 auf 5 Oktaven erweitert. Sie kombiniert genial Kreativität, Empfindsamkeit und technische Virtuosität. Ihre Kompositionen sind seit Jahrzehnten immer wieder in den großen Konzertsälen Japans, Europas und den USA zu hören. Und jetzt also in Wuppertal „Wave Impressions“ nach ihrem Gedicht, in welchem sie am Strand sitzt und in den Sand zeichnet, über kurze glückliche Begegnungen ihres Lebens nachdenkt, und beim Anblick des Sonnenuntergangs am Meer über die eigene Vergänglichkeit sinniert, während die Wellen des Meeres ewig rauschen. Die Schlagwerkgruppe Elbtonal mit Marimbaphon, verschiedenen Trommeln, Becken, „Schießbude“, Gongs aus allen Regionen der Welt wurde vorne links am Bühnenrand platiert und quasi als Solistengruppe vom großen sinfonischen Orchester begleitet. Das Publikum im Saal vor dem Schlagwerkgebirge erhielt vorsichtshalber Ohrstöpsel. Nach dramatischem, energiegeladenem Beginn mit archaischen Schreien der Schlagwerker gibt es im meditativen, leisen zweiten Teil eine anrührende, verhaltene Marimbaphon-Kadenz. Im tänzerischen dritten Teil mit vertracktem Wechsel zwischen 9/8 und 10/8 Takt zeigen die Schlagwerker ihre Musikalität und Technik, bevor sie im furiosem letzten Teil mit einer brillanten solistischen Kadenz der ganzen Gruppe förmlich explodieren, alles auspacken, was in ihnen und ihren Instrumenten steckt. Unter Körper-Perkussionen mit Händeklatschen und Stampfen endete diese grandios entfesselte Musik. Für den gewaltigen Beifall mit Bravo-Rufen des begeisterten Publikums bedankte sich Elbtal Percussions mit einer meditativen, zurückhaltenden, leisen, beruhigenden Ostinato-Bearbeitung der Bachschen d-moll Toccata und des „Guten Abend, gute Nacht-Liedes“, arrangiert für Cajon, Marimbaphon, Vibraphon und Jazzbesen. Dazu konnten wir die Ohrstöpsel auch wieder entfernen.
 
Nach der Pause Max Reger, wohl gedacht als Erinnerung an seinen 100. Todestag am 11.05.1916. Mit seiner Eßstörung, seinem Übergewicht, seinem Kaffee-, Limonaden- und Alkoholmißbrauch, mit seinem Tabakkonsum – er rauchte zeitweise bis zu 20 dicke Brasilzigarren pro Tag - wurde er nur 42 Jahre alt. Am 10. Mai 1916 traf er sich mit Freunden in Leipzig im Café Hannes, aß Steinpilze, trank kaltes Bier und bekam gegen 23 Uhr Oberbauchschmerzen mit Übelkeit. Er rief den Wirt: „Hannes, gebens mir a Pulver. Hannes gab Opium, Reger verstarb noch in der Nacht wohl am Herzinfarkt.
Seine mächtigen Choralfantasien für Orgel gehören zu den bedeutendsten Musikwerken ihrer Zeit, aber seine Kammermusik und seine Orchesterwerke sind in den Konzertsälen nicht sehr häufig zu hören. Seine Musik gilt vielen Zuhören als schwer zugänglich. Immerhin hat er aber von der Berliner Medizinischen Fakultät die Ehrendoktorwürde erhalten, weil seine Musik „das Gemüt der Kranken erhebe“. Das konnte heute nachvollzogen werden. Sein op. 132 (Variationen über ein Thema von Mozart) gilt als Regers populärstes Werk. Er selbst hielt es im Hinblickt auf sein sonstiges Œuvre für einen „leichteren Moselwein unter den musikalischen Genüssen“. Das Werk stammt nicht aus seiner frühen „Sturm und Trankzeit“ sondern wurde 1914 komponiert und das nach allen Regeln der Kunst: Mit Umkehrung des Themas und metrischer Umdeutung verschwindet das Thema mit jeder Variation mehr und mehr und ist in den stürmischen und gespenstischen Variationen 4 und 5 kaum noch zu erkennen. Die 8. Variation als freies Adagio hinterläßt Melancholie oder auch Ratlosigkeit vor der großen Schlußfuge. Beim Wuppertaler Konzert langanhaltender Applaus für das glänzend aufgelegte Orchester und den jugendlich agilen Dirigenten Christian Kunert, der eine Professur für Fagott an der Musikhochschule in Hamburg innehat. Sein künstlerisches Konzept für Orchesterleitung konnte dem Programmheft entnommen werden.