Politik, Schulden, Frauen

Johannes Willms – „Mirabeau oder die Morgenröte der Revolution“

von Johannes Vesper

Politik, Schulden, Frauen
in der Morgenröte
der Französischen Revolution
 
Die Mirabeau-Biographie von Johannes Willms
 
Das Leben dieses Journalisten und Politikers Honoré Gabriel de Mirabeau (1749-1791) spiegelt die Verhältnisse in Frankreich vor der Großen Revolution von 1789 wider. Als Dreijähriger machte er die Blattern (Pocken) durch, wodurch sein Gesicht erheblich verunstaltet wurde. Er sei „häßlich wie der Satan“ hieß es. Mit seinem Vater hat er sich seit frühester Jugend nicht verstanden, weswegen der 15jährige Mirabeau ins Internat gesteckt wurde, wo er alte und neue Sprachen, Zeichnen und Musik lernte, bevor er, wie üblich in der Familie, zum Militär geschickt wurde. Hier entwickelte sich sein Charakter: Er machte Schulden beim Spiel, kam, vermutlich wegen Konkurrenz bei einer Schönen, in heftigen Konflikt mit seinem Oberst , der selbst eben erst 26 Jahre alt war, und wanderte für sechs Monate ins Gefängnis auf der Ile de Rhe vor La Rochelle. Dort in quasi offenem Vollzug verschuldete er sich weiter und heuerte nach der Haft als Freiwilliger der französischen Armee nach Korsika an, wo er als inzwischen 22jähriger eine Geschichte der Korsen schrieb. Nach seiner Entlassung aus der Armee beauftragte ihn sein Vater mit der Verwaltung des Schlosses Mirabeau (Stammsitz der Sippe in der Provence) und machte ihn bekannt mit der damals modernen, ökonomischen Lehre der Physiokratie, nach der der Reichtum eines Landes allein in seinem Grund und Boden besteht bzw. aus diesem mit Hilfe der Landwirtschaft, der Jagd, der Fischerei gezogen wird. Der junge Mirabeau verstand sich mit seinem Vater nach wie vor schlecht und suchte eine reiche Braut, mit deren Vermögen er seine zunehmenden Finanzprobleme in den Griff bekommen wollte.
 
Pocken als Kinderkrankheit, Schwierigkeiten mit dem Vater, Internat, Pumpgenie und zunehmende Schulden, ständige Lettres de cachet, Frauen, Gefängnis: Keine solide Existenz für den berühmten Politiker und Intellektuellen.
 
Mit der verschwenderischen Hochzeit 1772 übernahm er sich finanziell vollständig. Vater und Schwiegervater dachten nicht daran, beim Tilgen der Schulden zu helfen. Um seinen Gläubigern zu entkommen, bat er seinen Vater, einen Lettre de cachet zu bewirken. Dabei handelt es sich um königliche Haftbefehle ohne Gerichtsverhandlung, womit ganz im Sinne des herrschenden. absolutistischen Despotismus mißliebige Personen aus dem Verkehr gezogen wurden. Im Gefängnis fühlte er sich vor seinen Gläubigern sicher. Und der Familienrat der Mirabeaus glaubte 1774, daß nur durch Entmündigung seine Schuldenflut begrenzt werden könnte. Wegen Raufereien des Sohnes erwirkte der Vater den 2. 3 und 4. Lettre de cachet und Mirabeau wurde bei Pontarlier in „Französisch-Sibirien“ (Jura) eingelocht, wo er seine erste bedeutende politische Schrift über den Despotismus verfaßt hat. Soziale Harmonie sei nicht durch despotischen Druck von oben sondern nur mit „Erziehung, umfassender Bildung und Freiheit“ zu erreichen. Außerdem verliebte er sich dort unter einem nachsichtigen Festungskommandanten in die junge, schöne, verheiratete, kinderlose Sophie. Diese Affäre blieb in der kleinen Stadt nicht unbemerkt. Das Liebespaar entzog sich dem sozialen Druck, floh nach Amsterdam, ging aber der französischen Justiz nicht verloren, und Mirabeau landete im Staatsgefängnis von Vincennes bei Paris. Hier waren die Haftbedingungen zunächst übel. Aderlässe, Hämorrhoidalblutungen, fehlende Leibwäsche und Kleidung machten ihm doch erheblich zu schaffen. So schrieb er zahllose Briefe an die Gefängnisverwaltung, an Sophie und viele andere. Als glänzender und völlig skrupelloser Plagiator bewältigte er nicht nur seine Korrespondenz sondern auch immer wieder seine Essays und erotischen Schriften, bei denen er alle denkbaren Abarten sexueller Praktiken und auch obszöne Kupferstiche zur Illustration nicht scheute. Angeregt durch seinen Zellennachbarn, den Marquis des Sade, schrieb er nach dem immer noch aktuellen Motto „Sex sells“ und hoffte auf wirtschaftlichen Erfolg. Nach 4 Jahren Haft wurde er 1780 entlassen, konnte 1783 seine Scheidung von Sophie erreichen, ließ sich mit einer zauberhaften 19jährigen ein und gewann langsam eine politische Statur.


Festung Pontarlier - Foto © Johannes Vesper
 
Profitgier, ungezügelte Börsenspekulationen, Überschuldung, Staatsbankrott: Ursachen für die französische Revolution?
 
Die staatlichen Finanzen Frankreichs wurden damals durch Spekulation und Geschäftemacherei, durch intriganten Finanzklüngel, Profitinteressen von Banken, Aktiengesellschaften und Handelskompanien zunehmend ruiniert. Dabei war das Land eigentlich schon wegen der Unterstützung des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges pleite. Die desaströse Finanzsituation war nicht neu. John Law hat mit der Erfindung des Papiergeldes schon sechs Jahrzehnte zuvor den damaligen französischen Staatsbankrott abgewendet. Der Finanzminister Necker, dem in seinem Haushalt groteske Rechenfehler nachgewiesen wurden, versuchte 1781-1789 mit riesigen Staatsanleihen den Staatshaushalt zu retten. Außerdem wurde Mirabeau nach Preußen entsandt, in der Hoffnung, daß vielleicht von dort Hilfe zu erhalten wäre. Preußen wurde wegen seiner beispielhaften Verwaltung, seiner Rechtssicherheit, seiner Vernunft und Toleranz in Frankreich sehr geschätzt. Mirabeau nahm den Auftrag umso lieber an, als er hoffte, bei Erfolg mit einem gut bezahlten Posten beim französischen Staat belohnt zu werden, um seinen eigenen Schuldenberg bewältigen zu können. Erfolgreich verlief sein Ausflug nach Preußen nicht, aber immerhin schrieb er eine vierbändige Geschichte Preußens. Friedrich II. hielt ihn „für einen dieser verweichlichten Satiriker, die für wie gegen alle Welt schreiben“.
 
Charmant, frech und ungezügelt, reizbar, eine seltsame Mischung von Gut und Böse, immer auf der Jagd nach Geld bzw. einer einkömmlichen Position, nicht frei von Opportunismus und Irrtümern hatte er es politisch in der revolutionären Zeit nicht leicht. Und obwohl er dem 3. Stand politischen Geist stets abgesprochen hatte, wurde der Vierzigjährige als Adeliger von eben diesem 3. Stand für die Versammlung der Generalstände 1789 gewählt. Dabei fürchtete man durchaus seine Skrupellosigkeit, und auch seine physische Häßlichkeit ließ kaum Sympathien aufkommen. Er glaubte, daß in Frankreich nur mit einer neu zu schaffenden Verfassung der alte, royale Despotismus abgeschafft werden könnte und erhoffte für seine Vorstellungen die Kooperation zwischen König als Kopf der Exekutive und drittem Stand als stärkster Kraft der Volksvertretung. Dabei sei „das Volk weit davon entfernt, das System seiner Rechte und Freiheit zu erkennen. Das Volk wünscht sich Erleichterungen, will nur das bezahlen, zu dem es imstande ist“. Von wegen Menschenrechte usw.! War Mirabeau Populist?
 
Mirabeaus Vision für Frankreichs Zukunft: Ablösung der Privilegien von Adel und Klerus durch eine akzeptierte Staatsverfassung mit konstitutioneller Monarchie, Nationalversammlung und garantierten Freiheitsrechten.
 
Die Einzelheiten des Revolutionsbeginns mit Brotaufständen nicht nur in Paris, mit beginnender Lynchjustiz von Brotspekulanten bei zunehmender Verschlechterung der Versorgungssituation, mit dem Sturm auf die Bastille, mit dem Ballhausschwur u.a.m. können im Rahmen einer Rezension
nicht dargestellt werden. Mirabeaus Vorschlag, daß die Abgeordneten der Nationalversammlung durch patriotische und freiwillige Gaben und durch Zeichnung von Anleihen, jeder Abgeordnete entsprechend seinem Vermögen das Staatsdefizit mindern sollten, wurde damals und würde wohl auch heute nicht akzeptiert. Mirabeau glaubte, daß die Monarchie in Frankreich nur überleben könnte, wenn sie sich klar darüber bliebe, „daß ihre wichtigsten Hilfsmittel künftig der Charakter und das Talent sind“ und der König sich mit dem 3. Stand und seiner Revolution unter Ausschaltung des Adels und Klerus verbünde. Bei aller Lauterkeit seiner Motive und politischen Ansichten hoffte er doch immer auf einen Ministerposten und ein geregeltes Einkommen. Mirabeau also ein moderner Politiker? Endlich stellte der König ihn als seinen persönlichen Politik-Berater mit großzügiger Dotierung ein. Natürlich waren die Abgeordneten der Nationalversammlung davon überhaupt nicht begeistert, hielten ihn für einen käuflichen Verräter der Revolution. In dieser Position konnte er sich aber erstmalig von seinen Schulden befreien. Er selbst sah seine Beratung als „politische Apotheke mit ihm als Apotheker“. Aber seine Vorstellungen einer guten Entwicklung Frankreichs in einer konstitutionellen Monarchie unter Berücksichtigung der revolutionären Grundforderungen von Freiheit, und Gleichheit konnten sich bei zunehmender Dynamik der Revolution nicht durchsetzen. Nach seinem Tode am 2.4.1792 wurde er als erster in der gerade erbauten Kirche der Heiligen Genoveva, dem späteren Pantheon beigesetzt. Aber Robbespierre veranlaßte, daß der Leichnam im September 1794 aus dem Pantheon wieder entfernt und auf dem Friedhof Sainte Catherine verscharrt wurde. Die genaue Grabstelle ist unbekannt.
 
Der Autor Johannes Willms konzipierte beim ZDF die Fernsehsendung „Das Literarische Quartett“, war von 1993 bis 2000 Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung und wechselt anschließend als Frankreich-Korrespondenz der SZ nach Paris. Er schrieb zahlreiche Bücher über die französische Geschichte (Napoleon, Balzac, Napoleon III., Stendhal, Talleyrand, Waterloo u.a.). Die jetzt vorgelegte Biographie Mirabeaus ist auch für den Nichthistoriker gut lesbar und interessant. Schon im 18. Jahrhundert gab es drängende, gesellschaftliche Probleme, die uns in der aktuellen Diskussion nicht fremd sind: Staatsverschuldung, Streitkultur in der Demokratie, Populismus, Versorgungsdenken der Politiker, soziale Gerechtigkeit u.a.m.. Für diese Biographie durchforstete Johannes Willms die umfangreiche Korrespondenz Mirabeaus, seine politischen Schriften, seine Memoiren und all die andere zeitgenössische Literatur zum Thema. Die Quellen werden im umfangreichen Anhang angegeben. Eine tabellarische Kurzfassung der Lebensdaten und der wichtigsten Geschichtszahlen des 18. Jahrhunderts fehlt. Empfehlenswert.
 
Johannes Willms – „Mirabeau oder die Morgenröte der Revolution“
Eine Biographie
© 2017 C.H. Beck Verlag, 397 Seiten. Gebunden mit 18 Abbildungen. ISBN 978-3-406-70498-7
26,96 €
Weitere Informationen:  www.chbeck.de