Über ihre Unempfindligkeit

Ein Klagelied

von Benjamin Neukirch

Franz von Stuck - Die Sünde (1893)

Über ihre Unempfindligkeit

Sylvia ist wohl gemacht.
Ihre glieder sind wie ketten /
Und ich wolte sicher wetten /
Daß von hundert Amouretten
Drey nicht ihre schönheit hätten /
Noch ihr holdes angesicht;
Nur ihr hertze tauget nicht.

Sylvia ist angenehm.
Ihre lippen sind corallen /
Ihrer brüste zucker-ballen /
Und ihr honigsüsses lallen
Gleicht den jungen nachtigallen /
Die die mutter abgericht;
Nur ihr hertze tauget nicht.

Sylvia ist voller lust.
Sie verbirget / was sie schmertzet /
Sie ergetzet / wann sie schertzet /
Sie bezaubert / wann sie hertzet /
Lachet / wenn man sie verschwärtzet /

Und hört alles / was man spricht;
Nur ihr hertze tauget nicht.

Ach du ungezognes hertz!
Wann du denn allein mißfällest /
Wann du ihren geist verstellest /
Wann du ihren mund vergällest /
Und mit trotze von dir prellest /
Was sich dir und ihr verpflicht;
Warum ändert sie sich nicht?

 

Benjamin Neukirch
(1665 - 1729)