Besser geht’s nicht

„Elle“ von Paul Verhoeven

von Renate Wagner

Elle
(Frankreich 2016)

Regie: Paul Verhoeven
Mit: Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Anne Consigny, Charles Berling, Christian Berkel u.a.
 
Wer außer Isabelle Huppert würde es wagen, mit größter, coolster Selbstverständlichkeit eine so „unsympathische“ Heldin jenseits jeder Moral- und Anstandsvorstellungen auf die Leinwand zu bringen? In Zusammenarbeit mit Regisseur Paul Verhoeven gelingt ihr in „Elle“ (nach dem Roman „Oh …“ von Philippe Djian) Außerordentliches – langsam setzt sich ein Frauenporträt zusammen, das man stückweise begreift, nicht mag, nicht billigt, aber dann doch versteht. Es gibt diese von ihrer Umwelt so stark distanzierten Menschen, denen die Regeln, nach denen unsere Gesellschaft angeblich funktioniert, völlig egal sind…
 
„Elle“ („Sie“), das ist Michèle Leblanc, Geschäftsfrau, geschieden, in einem schlampigen sexuellen Verhältnis mit dem Mann ihrer besten Freundin und Geschäftspartnerin, umgeben von einer Familie, um die sie nicht zu beneiden ist. Gleich zu Beginn des Films wird sie brutal vergewaltigt. Sie bricht nicht zusammen, ruft nicht die Polizei, heult ihren Bekannten am Telefon nichts vor. Sie hält ganz gelassen still und wartet ab. Er wird wiederkommen. Er kommt wieder. Man weiß, daß sie dazu Pläne hat. Ein Teil des Films ist zweifellos ein erotischer Psychokrimi.
Ein anderer Teil setzt diese Frau aus den Mosaikstücken ihrer Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Das Geheimnis ihres Vaters wird erst gegen Ende bekannt, danach versteht man so einiges, vor allem, wie ein kleines Mädchen einmal sehr stark und selbständig werden mußte. Zumal ihre Mutter eine lächerliche Figur ist, die sich nicht schämt, ihren jungen Liebhaber mit sich herumzuzerren (samt Absicht, ihn zu heiraten). Ihr Ex-Mann ist ein „Künstler“ und in Michèles Augen ein Schwächling. Ihr Sohn ist wirklich einer, läßt sich von seiner ekelhaften Freundin vorführen, und als sie ihm ein farbiges Kind angeblich als seines in die Arme legt, spielt er Vater dafür… die Groteske leuchtet. Großbürgerlich, denn Michèles Geld steht ja zur Verfügung.
Man wundert sich nicht, daß sie einer Firma vorsteht, die Gewalt-Computerspiele kreiert – sie will es immer noch schlimmer, ärger, brutaler. Ihre Untergebenen ducken sich, wehren sich höchstens untergriffig. Sie agiert zurück, nimmt nichts hin. Ihre Geschäftskollegin ist eine wahre Freundin, auch als sie entdeckt, daß Michèle mit ihrem Mann schläft. Im übrigen absolviert Michèle, wie es sich gehört, gesellschaftliche Beziehungen, auch mit den neuen Nachbarn, einem nicht ganz durchschaubaren Ehepaar, sie so erzkatholisch, er so verbindlich. Und im Hintergrund lauert das Warten – wann wird der Vergewaltiger wieder zuschlagen?
Und Isabelle Huppert zeigt uns, wie ihr dieses banale Leben im Grunde auf die Nerven geht, wie gelangweilt sie ist, wie angeödet, ja sogar angewidert von einer Umwelt, in der sie keinen gleichwertigen Widerpart findet. Am Ende ist es auch der Vergewaltiger nicht, der mit Karacho entlarvt wird. Der? Wirklich der?
 
Neben dem Charakterporträt und der Krimispannung ist es das gesellschaftliche Puzzle kläglicher Figuren, das sich in diesem Film so großartig-beklemmend verdichtet, und da hat der niederländische Regisseur Paul Verhoeven Brillantes geleistet. Der Mann mit der einstigen Hollywood-Karriere (Höhepunkt: Sharon Stone 1992 mit diskret gespreizten Beinen in „Basic Instinct“), der lange verschwunden war, taucht als fast 80jähriger (Jahrgang 1938) wieder auf und zeigt, daß er der richtige Mann für herrlich zynisches europäisches Kino ist. Besser geht’s nicht.
 
 
Renate Wagner