Florence Foster Jenkins entschieden schaumgebremst

„Florence Foster Jenkins“ von Stephen Frears

von Renate Wagner

Florence Foster Jenkins
(GB 2016)

Regie: Stephen Frears
Mit: Meryl Streep, Hugh Grant, Simon Helberg, Aida Garifullina u.a.
 
Die Geschichte der Florence Foster Jenkins evoziert in sensiblen Menschen das Gefühl des Fremdschämens ebenso wie jenes des Mitleids. Lachen kann man wohl nur, wenn man von eher robustem Naturell ist. Da hat sich eine alte Frau, die nie zur Erkenntnis ihrer selbst kam, als „Sängerin“ vor der Welt lächerlich gemacht. Und das Schlimmste daran: Niemand hat es ihr gesagt. Denn sie war reich. Und reiche Leute dürfen alles, dürfen erwarten, daß man sie anlügt, nur um ihnen den Schmerz zu ersparen, den jeder Normalmensch ertragen muß: Das kannst Du nicht, bis hierher und nicht weiter, sorry. Niemand sagte das zu Florence Foster Jenkins angesichts ihrer Millionen…
 
Und doch – ist es nicht tragisch, daß jemand berühmt wurde und blieb, weil die Welt ihn auslachte? FFJ als Lachnummer, als Witzfigur, als tragischer Clown kam auf die Bühne – man hatte in Wien schon dreimal Gelegenheit, sich für sie zu schämen. 2007 zeigte Vienna’s English Theatre die Fast-Solo-Show „Souvenir“ von Stephen Temperley, 2010 taten es die Josefstädter Kammerspiele, indem man Deisrée Nick mit diesem Stück als Gastspiel aus Berlin holte. „Solider“ ist das breit gefächerte Theaterstück „Glorious!“ von Peter Quilter, das nicht zuletzt die Zusammenarbeit der FFJ mit ihrem Pianisten Cosme McMoon zeigte – abgesehen von den Gesangsszenen, bei denen man sich schmerzlich wand: Maria Bill machte das (an der Seite von Til Firit als Pianisten) 2013 im Volkstheater sensationell. Das tat weh, und das sollte es auch.
 
Im Kino tut die Geschichte, eingebettet in allen Luxus, den das superreiche New York zu bieten hat (fast als wär’s ein Film von Scorsese), nicht weh. War es Regisseur Stephen Frears, der sich nicht dazu entschließen konnte und stattdessen die schönen Fassaden pinselte? Oder ausnahmsweise Meryl Streep, die, wie man weiß, „alles kann“ – aber hier konnte sie sich nicht überwinden, FFJ preiszugeben.
Die reiche Dame, die so unerschütterlich davon überzeugt ist, eine große Sängerin zu sein, die keine Ohren hat, wenn es um sich selbst geht, die sich für fähig hält, mit Opernarien (auch Koloratur!) sich öffentlich in der Carnegie Hall zu exponieren. Nach Auftritten vor Freunden im Ritz-Carlton-Hotel wagte sie es am 25. Oktober 1944 tatsächlich und gab ein öffentliches Konzert dort – mit 76. Sie ist in Gestalt von Meryl Streep ein kleines bißchen lächerlich, sie ist auch ein wenig bedauernswert (wenn sie die Kritiken liest, die man um jeden Preis vor ihr verbergen will), aber immer in Maßen, immer im Rahmen ihrer Eleganz und Würde. Die wahnsinnige Sturheit, Besessenheit, Verblendung kommt in ihrer Tragik nicht heraus. Solcherart wirkt eine der grellsten, extremsten Geschichten, die man sich denken kann, ecken- und kantenlos. Hätte man je gedacht, daß man Meryl Streep nicht für eine Idealbesetzung halten könnte?
 
Wirklich ideal hingegen Hugh Grant als ihr Gatte, denn obwohl so britisch, so elegant, hat der Mann, der sie in jeder Hinsicht belügt (nicht nur, weil er sie betrügt), doch etwas an sich, das man auf Englisch „fishy“ nennt. Nicht ganz kosher. Untadelig, auch mit allen großen Eigenschaften von Mitleid und Großherzigkeit – aber nur, wenn man nicht genau hinsieht.
Daß Aida Garifullina – die „Allerschönste“ unter den vielen Schönheiten der Dominique-Meyer-Staatsoper – einmal vor der Filmkamera landen mußte, war unvermeidlich. Sie singt als Lily Pons die „Glöckchen“-Arie aus „Lakmé“, dramaturgisch aus dem einsichtigen Grund, um vielleicht naive Kinobesucher aufhorchen zu lassen – so kann das klingen? Aber im Vergleich zu Florence Foster Jenkins hätte wohl jede Durchschnittsstimme aus dem Kirchenchor glorios reüssiert.
Also, das ist Florence Foster Jenkins entschieden schaumgebremst. Da wäre schon noch einiges mehr drin gewesen.
 
 
Renate Wagner

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