Saitenspiel

Das Uriel-Quartett mit Beethovens sämtlichen Streichquartetten

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper
Saitenspiel:
Das Uriel-Quartett
mit Beethovens sämtlichen Streichquartetten
in Wuppertal (I-III)
 
Von Johannes Vesper
 
Beethovens 16 Streichquartette gelten als der Höhepunkt seines Werks bzw. der Kammermusik überhaupt und bedeuteten eine Riesenaufgabe für das Uriel-Quartett. Gesamtaufnahmen gibt es etliche, Gesamtaufführungen wenige. Beim Wuppertaler Projekt orientierte sich Detlef Muthmann, der Mäzen dieser Kammermusikreihe, am Slee-Zyklus in Buffalo/USA, wo seit 1954 jedes Jahr die Beethovenschen Streichquartette aufgeführt werden. Wie dort erklangen auch in Wuppertal in jedem  der drei Konzerte je ein frühes Quartett (aus op. 18), ein Quartett der mittleren (op. 59) und der späten Schaffensperiode, in denen Beethoven radikale Modernität auslebte wie in kaum einem anderen seiner Instrumentalwerke. Josef Haydn hatte das Streichquartett für vier Hausmusikanten in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts erfunden, aber die Beethoven-Quartette ab op. 59 waren nicht mehr für Musikliebhaber geschrieben. Kammermusik und gewinnorientierte Unterhaltungs-Event-Kultur vertragen sich schlecht. In der Intimität des Mendelssohnsaals, dank des Mäzenatentums ein „Ort des Waffenstillstandes zwischen Musik und Gesellschaft“ (Adorno), erlebten jetzt die engagierten Musiker wie das sachkundige Publikum, mit welchen Mitteln Beethoven uns „Feuer aus der Seele schlägt“.
 
Den Anfang machte der Zyklus am 07.10.16 mit den Quartetten Nr. 12 (Es-Dur op. 127), Nr. 1 (F-Dur op. 18.1) und Nr. 9 (C-Dur op. 59.3).
Mit op. 127 beginnt die Serie der späten Streichquartette. Komponiert wurde dieses Quartett 1822-1824. Seit dem f-moll Quartett op. 95 von 1810 hatte Beethoven kein Quartett mehr geschrieben. Dem russischen Fürsten Galitzin ist dieses Quartett (wie auch op. 130 und op. 132) gewidmet. Das Publikum hat es wie die Instrumentalisten schwer mit dieser Musik des ertaubten Genies, mit der vielleicht die Spaltung zwischen E- und U-Musik begann. Immerhin gibt es noch vier Sätze und einen wunderbaren Variationssatz (molto espressivo). Dolce mit crescendo im Piano und diminuendo bis zum Pianissimo, Crescendi –Ausbrüche bis zum Fortissimo: zahllose Anweisungen erfordern subtiles und genaues Spiel für den großen, klaren, differenzierten Ausdruck.


Foto © Johannes Vesper

Die frühen Streichquartette op. 18 komponierte Beethoven 1798-1800, wobei Nr. 1 erst nach Nr. 3 entstand. Das Allegro con brio zu Beginn stürmt los mit dem eingängigen 2-Takt-Motiv, während der langsame Satz mit Seelenschmerz und Melancholie vielleicht Beethovens unglückliche Stimmung spiegelt. Seit 1796 schon litt er an chronischem Durchfall mit ständigen Leibschmerzen. Dazu bemerkte er auch schon seine zunehmende Taubheit. Im Heiligenstädter Testament von 1802 faßt er seine depressive Grundstimmung in klare und ergreifende Worte.
Das 3. und letzte der Rasumovsky-Quartette (dem russischen Botschafter in Wien gewidmet) (komponiert bis Ende 1806) beginnt mit einer langsamen, traumhaften, aus jeder Zeit fallenden Einleitung vor den Akkordschlägen zu Beginn des Kopfsatzes. Den aberwitzig virtuosen Schlußsatz begann die Bratsche mit Verve. Atemberaubend, temperamentvoll und souverän folgten ihr Geigen und Cello, bis zu den mitreißenden, orchestralen Schlußtakten die fulminante Energie des Satzes aufbauend. Großer Applaus.
 
Am Samstag, dem 08.10.16, folgten die Streichquartette Es-Dur op. 74, G-Dur op. 18,2, und cis-moll op. 131.

Kjell-Arne Jörgensen, Ulrike-Anima Mathé - Foto © Johannes Vesper
Das Harfenquartett op. 74, komponiert 1809, dem Fürsten Lobkowitz gewidmet, erscheint leichter verständlich. Auch hier eine langsame, dunkle Einleitung, bevor der 1. Satz mit Tremolo und Pizzicato (daher der Name „Harfenquartett“) seinen Lauf nimmt. Nach dem „ausdrucksvoll ersterbenden“ Adagio des stimmungsvollen 2. Satzes geht das Scherzo geschwind los mit dem berühmten Einfall der 5. Sinfonie (ta-ta-ta-taaa) jetzt aber klassisch wienerisch im ¾ Takt, bevor mit einem der schönsten Variationssätze das Quartett endet.
Opus 18.2 ging wegen seines etwas künstlich und gespreizt anmutenden ersten Satzes als Komplimentierquartett in die Musikgeschichte ein. Die jugendlicher Spielfreude und die Überraschungen der folgenden Sätze zeigen vielleicht, daß der gut 30-jährige Beethoven auch „selige Augenblicke mit einem zauberischen Mädchen“ erlebte, die er liebt und die ihn liebt (Brief vom 16.11.1801). Der Tausch von 1. und 2. Geige bei diesen beiden Quartetten führte zu einer interessanten, aber durchaus gewöhnungsbedürftigen Änderung des Ensembleklangs.
Op. 131 in cis-Moll mit 7 Sätzen in 6 Tonarten wird wieder mit einem Adagio molto espressivo eingeleitet, bevor die Fuge des 1. Satzes ausbricht. Das Quartett wurde 1826 komponiert. In diesem Quartett taucht wie in op. 130 und 132 das aus einem steigenden und einem fallenden Halbtonintervall im Abstand einer Terz bestehende Urmotiv der letzten Streichquartette Beethovens auf. Es erinnert an das alte B-A-C-H-Thema (dieses fast spiegelnd) und in seiner harmonischen Unbestimmtheit vielleicht sogar an den ca. 40 Jahre späteren Tristan-Akkord.
 
Beendet wurde der 1. Zyklus sämtlicher Beethovenscher Streichquartette am 09.10. mit dem Streichquartett D-Dur op. 18,3, der Großen Fuge op. 133 und dem 1. Rasumovsky-Quartett F-Dur op. 59,1.
Die Streichquartette op. 18 sind wie die 3., 5., 6. Sinfonie, wie das Harfenquartett, das Tripelkonzert und der Liederzyklus „An die ferne Geliebte“ seinem Mäzen, dem Fürsten von Lobkowitz gewidmet, der, selbst ein passabler Geiger, militärisch erfolgreich, die Musik in Wien gefördert hat wie kaum ein anderer und dazu mit seiner Frau 12 Kinder in die Welt gesetzt hat.

Werner Dickel, Xenia Jankovic - Foto © Johannes Vesper
Die Große Fuge op. 133 entstand zunächst als Finale des Streichquartetts op. 130. Mit aufregender Diskrepanz zwischen strenger Form und akustischen Chaos werden alle Hörgewohnheiten gebrochen. Von Spielern wie Zuhörern wird ein Maximum an Konzentration verlangt. Schärfen und Dissonanzen wurden noch verstärkt durch die ruppige 1. Geige (K.A. Jörgensen). Der musikalische Ausdruck geht hier weit über den der Wiener Klassik hinaus und weist radikal weit in die Zukunft. Der Kritiker der Allg. musikalischen Zeitung behauptete schon in der Rezension des Harfenquartetts 1811, daß das Streichquartett „zwar des sanften Ernstes und der klagenden Schwermut fähig sei, doch nicht den Zweck haben kann, … die Gefühle des Verzweifelnden zu schildern.“ Wenn der die Große Fuge erlebt hätte…??
Op. 59.1 kam bei den damaligen Musikfreunden zunächst überhaupt nicht an. „Flickwerk eines Wahnsinnigen“ sollen sie es genannt haben. Nahezu doppelt so lang wie die bis dahin bekannten Streichquartette, ungefähr gleichzeitig mit 7. Sinfonie (gleiche Tonart) entstanden, werden in diesem Quartett sinfonische Dimensionen erreicht. Der Cellovirtuose Bernhard Romberg wird das melodiöse Cellothema des 1. Satzes geschätzt haben, soll aber beim rhythmisierten Cellothema des 2. Satzes („sempre scherzando“) , bei den schnellen, morsezeichenartigen Repetitionen des tiefen b seine Cellostimme auf den Boden geworfen und zertrampelt haben. Das traurige Adagio in f-Moll gilt in seiner Abgründigkeit als die Elegie par excellence und im letzten virtuosen Satz huldigt Beethoven seinem Gönner und Freund Rasumovsky mit einem Themé russe. Nach erneutem Tausch der Geigen (1. Geige nach der Pause wieder U.-A. Mathè) präsentierte sich das Quartett mit homogenem kultivierten Klang , die Geige zart und klar in der Höhe, das Cello sotto voce und cantabile mit dem Kopfthema.
 
Großer und langer Applaus an allen Abenden, am Sonntag zusätzlich Blumen für die Musiker. Eine gewaltige Leistung des Uriel-Quartetts, welches mit immenser Technik und Musikalität das ergriffene Publikum an den frühen „Gesprächen zwischen vernünftigen Leuten“ wie an den späten seelischen Eruptionen Beethovens teilnehmen ließ.

Das Uriel Quartett
Den Streichquartetten Beethovens wollte sich das Uriel Quartett ohne ökonomischen Druck des Musikmarktes widmen, als es sich 2011 gründete. Seine Mitglieder (Ulrike-Anima Mathé - 1. Geige, Werner Dickel - Bratsche, Xenia Jankovic – Violoncello) aus Deutschland und Serbien arbeiten als Hochschullehrer an den Musikhochschulen Detmold und Wuppertal. Der norwegische Geiger Kjell-Arne Jörgensen (2. Geige) spielt zur Zeit in der Oslo Sinfonietta. Technisch sind die Werke außerordentlich anspruchsvoll. „Glaubt er, daß ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht“ meinte Beethoven zu Mylord (Falstaff), dem fetten, gewichtigen Geiger Schuppanzigh, dessen berühmtes Quartett viele der Beethovenschen Streichquartette uraufgeführt hat. Diese Musik ist eben nicht „tönend bewegte Form“, wie der bürgerliche Musik- und Zeitungskritiker Eduard Hanslick meinte. Bei Beethoven ist Musik „höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“ (Beethoven 1810 an Bettina von Arnim) und in den späten Streichquartetten unmittelbarer Ausdruck der Seele in ihrer Zerrissenheit, in ihrem Unglück, orphisch vorwegnehmend den psychoanalytischen Ansatz Freuds Jahrzehnte später. Mit Worten ist diesen musikalischen Ereignissen nicht beizukommen, weswegen Adorno seine umfangreiche Notizsammlung zu Beethoven jahrzehntelang in seinem Herzen bewegte, sie aber nicht zu einer Philosophie der Musik zu Ende formulieren konnte.
 

Das Uriel Quartett - Foto © Johannes Vesper
 
2. Teil des Beethoven-Zyklus vom 05.-07.05 2017 an gleichem Ort:
IV 05.05.2017: Streichquartette f-moll op.95. B-Dur op. 18,6, a-moll op. 132
V 06.05.2017: Streichquartette A-Dur op.18,5. B-Dur op. 130
VI 07.05.2017: Streichquartette c-moll op 18,4. F-Dur op. 135, e-moll 59,2.
 
Redaktion: Frank Becker