Bestsellerfressen

„Das Sommerloch“ von Norbert Blüm

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Armes Deutschland
 
„Das Sommerloch“
von Norbert Blüm
 
Liebe Leser!
 
Das Wunderbare an toten Politrentnern ist ja, daß sie das Geschreibsel, das früher ihre kriminellen Ghost-Writer verbrochen haben, nun selber verbrechen. Das Gute an solch vermufften Rentnerschinken wiederum ist, daß sie nun meinen, ohne Rücksicht auf Verluste und Diplomatie endlich ungeschminkt die Wahrheit verkaufen zu können - die Wahrheit und nichts als die Wahrheit über ihr wahres Wesen, das eigene Selbst, den selbst vermufften Rentner.
Norbert Blüm, der mittlerweile konsequent, berufsdebil und volldement mit Haut und Glatze und Wahnsinnserfolg zur Knalldeppencommunity der alldeutschen Comedians übergelaufen ist, hat nun ohne Not dem lieben Gott und der Welt einen herzerfrischenden Offenbarungseid allererster Güte neben den Nachttopfgeblättert:
„Das Sommerloch - links und rechts der Politik“, erschienen im Rechts- und Links-Verlag „Kiepenheuer & Witsch & Weg.
Und wieder einmal hat der Lektor das getan, was er nicht lassen konnte: nämlich für keine zwei Pfennige mal ins Manuskript geguckt. (Helge, lieber Helge, das ist jetzt nach Franzjosef Herpes, Alice Schwarzer, Carmen Thomas und Josef Fischer die wirklich allerletzte Abmahnung!)
(Bevor dir als Ober-Kiepenheuer bald alles egal wird.)
„Das Sommerloch“ von Norbert Blüm ist nicht nur genau das, was der Titel suggeriert, sondern auch eine Sammlung von autobiographischen, zermürbenden Anekdoten, die an geilen Blümschen Katastrophen nichts zu wünschen offen läßt.
Über den Anfang der 50er Jahre plaudert unser Ex-Sozialminister z. B. dieserart:
„600-mal stärker als die Hiroshima-Atombombe war die Wasserstoffbombe. Es konnte einem angst und bange werden.“ So, so! Angst und bange. Kann man sich gar nicht vorstellen. Bei so 'nem strammen Jungen! Nobby, unser kleiner Hosenscheißer! Wegen so 'nem kleenen Wasserstoffbömbschen! Isser nich´ süß?
 
Gottseidank wurde danach alles wieder gut. Und zwar durch Heil-Hitler-Papst Pius XII:
„Papst Pius XII, der kerzengrade Mann mit den etwas krummen Beziehungen zu den Nazis, warnte vor den Gefahren des Fernsehens.“ `Mit den etwas krummen Beziehungen zu den Nazis!´ Tz, tz, ich krieg mich nich mehr ein. `... warnte vor den Gefahren des Fernsehens!´ Und alles in einem Atemzug, ohne in die Ecke zu brechen! Sehr beeindruckend!
„Das beeindruckte den ehemaligen Meßdiener Norbert sehr“, weihräuchert der ehemalige Meßdiener in die weite, weite Welt hinaus, „der Nobbert, der kleine Bub“, obwohl die Familie vom kleinen Bub Nobbert damals noch gar keinen Fernseher besaß!
Doch gegen das, was dieser freie Geist dann vom Stapel poltert, ist das und noch vieles mehr geradezu ein Dreck: „Das und noch vieles mehr ist geradezu ein Dreck gewesen gegen das Ereignis, das dann die Welt erschütterte und Deutschland in einen Freudentaumel versetzte. 1954: Deutschland wird Fußball-Weltmeister!“
 
Und da hat der Nobby nolens-volens doch wieder 'nen Jackenzipfel der Wahrheit gestreift. Denn so war es ja: Wasserstoffbombe? Pippifax hoch 10! Krumme Beziehungen vom Pontifex? Pippifax hoch 12! Aber elf Ballermänner & „Tooooor! Tooooor! Tooooor!“ - und die Welt war fertig und das deutsche Volk hatte wieder ganz normal und friedlich einen anner Klatsche.
 
Lieber Helge Malchow, der du bist designierter Kiepenheuer & Kitsch! Was tust du eigentlich den ganzen Tag? Wenigstens beim folgenden Satz hättste dem Nobby inne Parade fahren können. Aber nein, hasse nich; und also steht der Satz vom Buben Blüm wie ein Fels in der Brandung: „Ideologen sind mir ein Gräuel. Ideologische Weltverbesserer wie Wladimir Iljitsch Lenin oder gar Adolf Hitler haben jedenfalls die Welt mehr gefährdet als alle Pragınatiker dieser Erde zusammen.“
`Ideologische Weltverbesserer wie Adolf Hitler´! Man fragt sich: Kann dieser komische Politklon außer Kopfstand im Zirkus Roncalli eigentlich gar nichts oder einfach nur nicht denken? Will er lustig oder weizsäcker als Weizsäcker sein?
Oder will er simpel nur mal Scheiße erzählen? In diesem Sinne wäre er jedenfalls 'ne seltene echte, deutsche Mehrfachbegabung.
 
Und das beweist er mit seiner pragmatischen Schlagseite Seite für Seite. So auf Seite 28, wo er die alte Bibel-Nummer von Hiob mit Gott und seinen gnadenlosen Prüfungen ins 21. christliche Jahrhundert rüberzaubert:
„Warum müssen Kinder, die keinem Menschen ein Haar gekrümmt haben, grausam an Krebs sterben?“ klabautert Benjamin Blümchen mírnixdirnix locker flockig so dahin.
Ich aber frage: Ist das Wirklich so? Müssen wirklich Kinder, die keinem Menschen ein Haar gekrümmt haben, grausam an Krebs sterben?
Bzw.: Müssen wirklich alle Kinder, die keinem Menschen ein Haar gekrümmt haben, grausam an Krebs sterben?
Oder müssen nur ein paar Kinder, die keinem Menschen ein Haar gekrümmt haben, grausam an Krebs sterben? Was will er, unser Nobbylein, unser putziger Sozialknubbel? Meint er vielleicht:
Es sollten besser nur die Kinder, die nachweislich einem Menschen ein Haar gekrümmt haben, grausam an Krebs sterben?
Oder ist dem Nobby die kurze Bibel-Version, nämlich die ohne Krümmung der Haare, einfach nicht grausam genug?
Oder müssen für Nobby die kleinen Kinder, die grausam an Krebs sterben, unbedingt noch was ganz, ganz Schreckliches verbrochen haben, z. B. irgendeine schlimme Haarkrümmung? Oder sollten Kinder, wenn sie schon an Krebs sterben, wenigstens nicht ganz so grausam sterben?
 
Oder sollten besser Erwachsene sterben?
Und wenn, dann welche?
Die, die hauptberuflich Haare krümmen?
Oder nur schwarz nach Feierabend?
Oder aus Versehen?
Und was ist mit Haarespalten?
Steht da auch Krebs drauf?
Und was hat Norbert Blüm eigentlich gegen Friseure?
 
Ach, scheiß der Hund drauf! Nach seinem „Sommerloch“ weiß ich nur eins: daß Nobby es nämlich auch nicht weiß.
Et is' ihm aber auch egal; denn in seinem Fachgebiet `Relígion & Horrorstorys´ kommt's ja bekanntlich gar nicht auf die Antwort an. Wenn die Religion darauf nämlich 'ne Antwort gäb', dann wär' se ja schön blöd. Nicht unbedingt die Antwort, aber die Religion. Und wer will schon 'ne blöde Religion?
Ich aber sage mit „Friedrich Nietzsche“, den ausgerechnet der Wurzelchrist Nobby in seinem „Sommerloch“ zum „Wegbereiter von Auschwitz“ macht:
„Solange man nicht die Moral des Christentums als Kapitalverbrechen am Leben empfindet, haben dessen Verteidiger gutes Spiel.“
 
Schönen Tag noch.
Und gute Nacht.
 
(25. Juni 2001)