Vom Wert des Originals

Davos: Alles Kirchner! Das Museum als Wunderkammer

von Jürgen Koller

Foto © Kirchner Museum Davos

Vom Wert des Originals
Alles Kirchner! Das Museum als Wunderkammer
 
Erneut setzt das Kirchner Museum Davos mit seiner am 5. Juni 2016 eröffneten Schau im aktuellen Ausstellungsgeschehen ein Markenzeichen der besonderen Art. Mit zwei parallel gezeigten Sommerausstellungen – „Das Museum als Wunderkammer“ und „Rupprecht Matthies feat. Kirchner“ - sollen die Freunde der expressionistischen und nachexpressionistischen Kunst Ernst Ludwig Kirchners in die Bergwelt von Davos gelockt werden. Das Museum öffnet seinen Fundus mit der weltweit umfangreichsten Kirchner-Sammlung und überrascht mit einem anspruchsvoll inszenierten Panorama, eben einer „Wunderkammer“.
Statt auf das Museum als White Cube - 'weisse Zelle' in bekannter Manier zurückzugreifen, bedienten sich die Kuratoren des Prinzips der Petersburger Hängung (Salonhängung), bei der die Wandflächen maximal ausgenutzt und die Werke von klein nach groß angeordnet werden. Noch bis in das Jahr 1920 waren nichtfarbige Wandflächen verpönt, um zweidimensionale Kunstwerke zu präsentieren. Erst danach setzte sich (in den 1950er Jahren) die nüchtern weiße Wand als prägendes Erscheinungsbild durch. „In der 'weißen Zelle' erscheint die Kunst als rein selbstreflexives, ort- und zeitunabhängiges System, ohne Verbindung zu einer außerhalb ihrer selbst liegenden politischen oder sozialen Realität“. Der weiße Museumsraum fetischisiert gleichsam das Kunstobjekt zu einer Luxusware. Das wiederum wurde in den 1960erJahren Thema der Kunst selbst und einer Kritik an der Institution Museum.
„Die Präsentation im Kirchner-Museum Davos versteht sich als kritische Reflexion der Wahrnehmungsgewohnheiten von Kunst“. Nicht nur die klassischen Werkgruppen - Malerei, Druckgrafik, Zeichnung, Fotografie und Skulptur – werden vorgestellt, sondern auch eine große Auswahl an Kirchner-Reliquien aus der Sammlung des Museums. Das Ausstellungsgut reicht von Kirchners Druckstöcken, Postkarten, Tagebüchern über Signaturen, Fingerabdrücke, Krankenberichte, Rechnungen bis hin zu seiner Absinth-Flasche und seinen Morphium- Ampullen. Auch die Pistole, mit der sich der Künstler erschossen hat, wird gezeigt. Die Ausstellung als Wunderkammer fragt nach dem Wert des Originals, fragt nach der Aura von Artefakten, Fundstücken, Gegenständen und Dokumenten, die mit der Persönlichkeit Kirchners im Kontext stehen. Auch wird der Frage nachgegangen, „Wer war Louis de Marsalle?“ - ein Name der immerhin 13 Jahre Kirchners Zeitgenossen beschäftigte. Unter diesem Pseudonym hatte Kirchner Kritiken über seine eigenen Werke und Ausstellungen, gelegentlich auch über Künstler-Kollegen in europäischen Zeitschriften geschrieben, letztlich ein „originelles Marketing in Sachen Kirchner“.


Rupprecht Matthies: Worte aus den Briefen an Erich Heckel - Foto © Kirchner Museum Davos
 
Der Hamburger Künstler Rupprecht Matthies (1957*) gestaltet ein raumfüllendes Wortkunstwerk aus Briefen und Texten von Ernst Ludwig Kirchner. „Sein Wortkunstwerk tritt als aus Plexiglas gesägter Schriftzug an der Wand auf oder als freischwebendes Mobile im Raum oder als Stahlskulptur, die sich auf dem Fußboden entfaltet.“ Der studierte Soziologe und akademisch ausgebildete Bildkünstler ist an Menschen, an Kommunikation und an sozialer Interaktion interessiert. Sein Ansatz ist konstruktiv, er will positiv wirken, zugleich verbessern und gestalten. So finden in seinen Textbildern Sprache und Schriftbilder einerseits und Malerei, Zeichnung und Skulptur andererseits zueinander. Originell ist dabei, daß der Künstler die Wortschöpfungen bei anderen Künstlern findet – so eben auch bei Kirchner in dessen Postkarten, Briefen oder Texten – und er sich auf das plastische Gestalten bzw. auf die Choreografie der Worte konzentriert. „Matthies betreibt Spurensuche im Werk, dem Leben und der Seele des historischen Künstlers und spiegelt Gedanken und Botschaften des Vorgängers in seinem eigenen Werk“ - und fixiert selbige in Wandarbeiten und Skulpturen. Der Künstler sieht sich als ein heitererer Aufklärer. Kunst und Leben sind miteinander verwoben und darin findet sich letztlich auch die Gemeinsamkeit mit Ernst Ludwig Kirchner.
 
 
Alles Kirchner! Das Museum als Wunderkammer - 5. Juni - 6. November 2016
Kirchner Museum Davos - Ernst Ludwig Kirchner Platz - CH-7270 Davos info@kirchnermuseum.ch
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, jeweils 11-18.00 Uhr - montags geschlossen
Informationen: www.kirchnermuseum.ch