Handtaschentaucher

von Roderich Trapp

Roderich Trapp - Foto © Bettina Osswald
Handtaschentaucher

Normalerweise unterscheidet sich meine Kolumne ja vom Privatfernsehen dadurch, daß sie erstens halbwegs lustig und zweitens frei von Werbeunterbrechungen ist. Heute mache ich mal eine Ausnahme – aber nur, was die Werbung angeht. Denn ich möchte Ihnen ein Produkt dringend ans Herz legen, weil ich vollständig von seiner Nützlichkeit überzeugt bin. Und zwar aus eigener Erfahrung. Sofern Sie über eine entsprechende Partnerin verfügen, geht es Ihnen vielleicht genauso ...
 
Wir reden über ein Geheimnis, von dessen Lüftung die Wissenschaft aktuell noch deutlich weiter entfernt ist als von Erkenntnissen über den Ursprung des Universums: Es geht um den Inhalt von Damenhandtaschen. Durch eine Laune der Physik enthält eine Damenhandtasche etwa das Vierfache ihres eigentlichen Fassungsvermögens, ohne daß von Außen irgendetwas darauf hindeutet. Berechnen kann man das mit der Formel „tatsächliche Füllmenge = Rauminhalt² + Schminkspiegel x 200 qm Tempotaschentücher“. Erklären aber nicht.
Damenhandtaschendesigner haben deshalb irgendwann begonnen, das Innere von Damenhandtaschen mit so vielen Klein- und Kleinstfächern auszustatten, das handelsübliche Funktionsrucksäcke dagegen alt aussehen. In Kombination mit der üblichen Mindestbestückung – also Handy, sehr großes Portemonnaie, Schlüsselbund, Bonbondose, Tempos, feuchte Tücher, Lipgloss, Lippenstift, Handcreme, Mini-Fleckentferner, Kamm, Spiegel, Labello, Knirps, Haargummi, Haarspange, Aspirin, Sonnenbrille, Minikosmetiktasche mit den nötigsten Utensilien (Mascara, Abdeckstift, Mini-Deo, Hautcreme, Nagelfeile, Schere, Tampons), Blasenpflaster, Notizbuch, Ersatzstrumpfhose, Stift, noch ein Stift, Kassenzettel aus den Jahren 2004 bis 2016 und unbedingt eine kleine Flasche Wasser – resultiert daraus das Problem, daß in den finsteren Tiefen von Damenhandtaschen deponierte Dinge oft weitgehend unauffindbar sind. Und zwar sowohl für die Nutzerin selbst wie auch für völlig ahnungslose Dritte. Also zum Beispiel mich.
Diese Schwierigkeit stellt sich speziell bei Gaststättenbesuchen regelmäßig dann ein, wenn ich den vergleichsweise überschaubaren Inhalt meiner an der Garderobe hängenden Jacke der Gattin überantworte. Es handelt sich um Schlüssel, Portemonnaie und Handy, die dann im schwarzen Handtaschenloch verschwinden. Früher gab es Männer, die das durch den Einsatz einer mit einer Schlaufe am Handgelenk zu befestigenden Herrenhandtasche namens „Detlev“ zu verhindern versuchten. „Detlev“-Träger waren aber dem Gespött ihrer Mitmenschen ausgesetzt und sind deshalb bis auf wenige verbeamtete Lehrer mit Cordanzügen ausgestorben.
 
Deshalb suchen alle Männer irgendwann nach dem Restaurantbesuch vor dem Auto oder spätestens vor der Haustüre vorzugsweise noch im Dunkeln stundenlang in den Abgründen der Handtaschen nach Schlüsseln und den anderen Sachen, die auch die ortskundige Gattin dort nicht wiederfinden kann. Manche Paare sollen schon komplett in solchen Handtaschen verschwunden und nie wieder aufgetaucht sein. Andere haben sich scheiden lassen, weil Frau hartnäckig behauptete, der Mann habe ihr die verschwundenen Utensilien gar nicht gegeben.
Und genau darum ist die oben erwähnte Erfindung genial: Einfach die Pfote in die Handtasche stecken und schon geht den Suchenden ein Licht auf. Auf daß Frau nicht mehr bis zum Abwinken krosen muß, Ehen nicht mehr an den Handtaschen-Untiefen scheitern und wirklich kein Mann mehr einen Detlev braucht ...
 
Bis die Tage!
Ihr
Roderich Trapp


© 2016 Roderich Trapp/Rundschau Verlags-Gesellschaft -
Erstveröffentlichung in der Wuppertaler Rundschau am 17.4..2016
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Wuppertaler Rundschau