Bestsellerfressen

„Gobi - Die Wüste in mir“ von Reinhold Messner

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Gooooobi ... is das schöööööön!
 
„Gobi - Die Wüste in mir“
von Reinhold Messner
 
Der Typ war ja mal 'ne Zeitlang in Brüssel, im europäischen Parlament, für die österreichischen Grünen. Dann hatt' er keine Lust mehr gehabt, und ist 6 Wochen lang durch die Wüste Gobi gelatscht. Und er war noch keine 2 Tage zu Hause, da hatten wa den Salat: „Die Wüste in mir“! Und hier ist der Titel nichts als die reine Wahrheit.

Meine Damen und Herren!
Die meisten sagen ja, der Typ hätt halt Hummeln im Hintern, lassen ihn laufen und es dabei bewenden. Mit „Gobi“ hat er aber bewiesen, daß bei ihm noch was ganz anderes im Arsch ist. Der furchtlose Völ­kerforscher, mein Kollege Wiglaf Droste resümiert:
„In diesem Mann ist nichts als ein mons­tröses ödes Ich-Ich-Ich.
Immerzu ist er mit sich selbst be­schäftigt, und die Worte ‚ich’,
‚mir’, ‚meine’ tauchen in einer Häufigkeit auf, die jeden Rekord
bricht. In den olym­pischen Disziplinen Angeben und Aufplustern
schlägt Messner Konkurrenten wie Günter Grass und Horst Köhler um Längen.“

Ungeheuerliche Behauptungen, möchte man meinen – und wollen gerne belegt werden. Wohlan! Der erste Absatz von „Gobi“ geht so:
„Nach fünf Jahren im Europäischen Parlament be­ginne ich müde und träge zu werden. Auch bin ich zu schwer. ich war stehen geblieben statt weiter zu gehen. Ich war zuletzt wohl zu wenig zu Fuß unterwegs gewe­sen. Ich bin noch kein alter Mann, aber seit 4 Jahren habe ich keine richtige Expedition mehr gewagt. Die Gewohnheiten der Sesshaften sind auch meine gewor­den. Die Zeit ist für mich ohne Jahreszeiten, ohne Son­nenaufgänge vergangen.“ Achtung! Jetzt kommt zwischendurch mal ’n Satz ohne ‚ich’, ‚mir’ oder ‚mich’, der jedoch anderweitig zu denken gibt: „Der Plenarsaal in Straßburg hat
keine Fenster, und die Kuppel ist auch am Mittag während der Abstim­mungsvorgänge hell erleuchtet.“

Großer, grüner Abge­ordneter! Wenn die Lampen alle aus wären, wie stellst ’nn dir das vor? Und deine eigene Lampe reicht doch nie und nimmer ... egal, wie an die auch sein mag! Egal. Weiter: „Mein Ab­geordnetenbüro ist vollklimatisiert, und wie Sonnenunter­gänge riechen habe ich vergessen.“ Ich will jetzt gar nicht fragen, wie Sonnenuntergänge rie­chen ... wahrscheinlich wie Messner unterm Arm. Aber ... aber wie kann man denn so was vergessen?

„Gobi“, meine Damen und Herren, hat stolze 268 prall gefüllte Seiten. Das herauszufinden war - zugegebenermaßen - jetzt nicht sooo schwer. Mehr Mühe, Nerven, Kraft und Zeit kostete mich dagegen, Blatt für Blatt sämtliche ‚ichs’ mit gelbem Textmarker zu versehen und später allesamt zu zählen. Mein Exemplar sieht jetzt aus, als hätt’s die Blattern. So, und nu’ die Preisfrage: Wie oft? Hm? Wieviel ‚ichs’ hammer denn? Genau und exactement 4028 Stück! Jawoll, 4028 mal ‚ich’!
D.h. im Schnitt 15 ‚ichs’ auf jeder Seite! Und da sind die versteckten ‚ichs’ in Form von ‚mein’‚ ‚meiner’, ‚mir’ und ‚mich’ und Kombis wie ‚vor mir’, ‚nach mir’, ‚über mir’, ‚unter mir’, ‚hinter mir’ und ’neben mir’ und ‚in mich’, ‚um mich’ und ‚um mich herum’ nicht mal dabei.
„Soll er doch! Soll der doch!“ winken Sie jetzt ab. „Hauptsache, das geht nicht zu Lasten des Inhalts!“
Wie, Inhalt? Welcher Inhalt?
„Na, Inhalt halt. Oder daß ihn seine ganzen ‚ichs’, bevor seine andern Zehen auch noch wegfaulen, nicht noch verrückt machen!“
Okay, ein Versuch kann ja nicht schaden. Bitte sehr:
„Ich weiß nicht mehr, wann ich die Idee, die Gobi zu durch­wandern, zum ersten Mal für mich formuliert habe, aber ich weiß noch, wann und wem ich sie zum ersten Mal erzählt habe.“
Solche Sätze entstehen möglicherweise ja durch die dünne Luft im Himalaja.
„Komm, ein Satz ist kein Satz und vor allem kein Beweis!“ hör’ ich Sie schon wieder relativieren. „Und durch die Lektüre wird man doch nicht doofer, oder? Ein ganzes Buch über die Gobi! Da weiß man doch hinterher viel mehr!“
Hm, weiß nich. Herr Messner meint jedenfalls:
„Was ich von der Gobi wußte, bevor ich hierher kam, war wenig. Und es ist nicht viel mehr, was ich nun von ihr weiß.“
Wer demnach erfahren möchte, wo überall inner Gobi die Bären steppen und was sich da die eingeborenen Jungs außer „vergorener Stuten­milch“ sonst noch so hinter die Binde zwitschern, der muß wohl oder übel persönlich in die Gobi. Oder ’nen anderen EU-Abgeordneten fragen.
Na, wie dem auch sei. An einer schattigen Stelle sinniert unser knall­grüner Catweezle in den Wüstensand:
„Natürlich hätte ich auch Parlamentarier bleiben können.“
Wofür?!!!?
Außerdem meint er, wären nur in der Gobi bestimmte Gedanken möglich geworden. Z.B.:
„Erst wenn sich der Mensch als Mängelwesen seiner Ohn­macht bewußt wird und sich zuletzt so verloren fühlt wie ein Sand­korn, beginnt das Diesseits.“
Also, ich finde, auf diesen trüben Trichter hätte unser Yeti auch als Par­lamentarier bei lampenhellen Abstimmungsvorgängen in Straßburg oder Brüssel kommen können.
Egal. Ich tippe mal, daß der durchgeknallteste Ich-Automat des EU-Parlaments auch gar nicht freiwillig gekündigt hatte, sondern ihn seine grünen Kollegen in die Wüste geschickt haben. Denn in jedem normalen Kindergarten heißt die Devise, wenn wieder einmal alles durcheinander schreit „Ich! Ich! Ich!“: „Ich-Kinder kommen ganz zum Schluß!“ Und schon Adorno stellte klar: „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Un­ver­schämtheit, wenn sie überhaupt ‚ich’ sagen.“
Und der sprach nur von einem ‚ich’.

Und unterm Strich:
Ob Brüssel, Arktis oder Gobi, am End is eh alles gehüppt wie gedüppt und bleibt, wenn’s hochkommt, allenfalls typisch Südtiroler Autisten­quark als höchstes Stadium des Deliriums:
„Plötzlich ist bei mir wieder die Neugier da: Wie wür­de die Welt ohne mich aussehen?“
Na, auf jeden Fall weniger lustig! Und wenn der Schamane nach Wochen des Spökenkiekens, des Hüppens & Düppens durch die Geröllhalden der Welt zurück zu Hause an die heimische Pforte pocht, kann einem nur noch seine eigene Fami­lie leid tun:
„Denn auch ich kann es auf Dauer nicht aushalten, mit mir allein zu sein.“
Gute Nacht.

Nachtrag:
„Was das Abenteuer anbelangt, weiß ich heute, daß die Dolomitenfelsen, durch die ich vor 40 Jahren geklettert bin, genauso gut oder besser sind als irgendwelche an­deren. Dolomitenfelsen? Oder was? Also hätte ich einfach zu Hause bleiben können? Nein, ich denke, mein Schicksal erfüllt sich, indem ich weiter gehe: in Burma, Nordkorea oder im Irak.“
Haha!
Als ob die da unten auch noch auf dieses traurige Schicksal gewartet hätten!

Aug. 2006