Der arme Mensch

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Jürgen Pankarz

Der arme Mensch

Na, wie isset denn? Gut!? Hauptsache
Obwohl man das ja nie so genau rauskriegt
Bei einem selber nicht
Es sind ja manchmal nur Kleinigkeiten und schon ist der Tag
Im Eimer ne
Oder werden Sie auch manchmal morgens wach und Ihnen fällt ein
Dass ein gräßlicher Tag vor Ihnen liegt
Und Sie möchten am liebsten gar nicht aufstehen
Sondern einfach liegen bleiben
Aber Sie stehen trotzdem auf
Obwohl Sie noch ein Stündchen liegenbleiben könnten
Aber schlafen können Sie sowieso nicht mehr
Sie hätten eigentlich schon um fünf aufstehen können
Da waren Sie nämlich schon wach
Aber da ist Ihnen ja noch nicht aufgefallen
Daß heute ein gräßlicher Tag ist
Aber wenn dann hätten Sie auch gleich aufbleiben können
Aber Sie mußten ja um fünf aufs Klo
Obwohl Sie dann schon nicht mehr richtig eingeschlafen sind
Selbst jetzt stehen Sie immer noch nicht auf
Sie möchten sich doch wie die Bettdecke die ganze Welt
Über den Kopf ziehen
Und am liebsten den ganzen Tag nicht da sein
Ist das Telefon rausgezogen? Na gottseidank!
Es gibt ja so Zeitgenossen die rufen um sieben schon an und sagen
Später hätt ich dich ja eh nicht mehr erwischt
Gottseidank denke ich selig sind die Unerreichbaren
Aber im gleichen Moment schrei ich mich geradezu an:
Jetzt steh endlich auf alles ist halb so schlimm sollst du mal sehen
Es wird jeden Abend elf Uhr sagst du doch sonst immer
Was soll heute anders sein
Den Tag schaffst du auch noch
Als erstes machst du mal die Fenster zu dann ist dir schon wärmer
Und wenn im Bad die Heizungszentrale immer noch meint
Daß man den Tag auch kalt beginnen könne
Daß ist doch kein Grund schon die Flinte ins Korn zu werfen
Ich geb ja gern zu
Man muß sich das vorstellen
Ich sag ich sag zu mir selbst: Ich geb ja gern zu
Ich zeihe mich selbst der Zimperlichkeit
Dann müssen Sie doch zugeben daß das ein gräßlicher Tag
Werden wird
Ein Haufen unglückseliger Telefonate
Die ich schon seit Tagen vor mich hin- und herschiebe
Zum Mittagsschläfchen werd ich wahrscheinlich auch nicht kommen
Also bin ich einfach nicht mehr belastbar
Krank melden kann ich mich aber nicht ich bin selbständig
Wie soll ich das machen
Ich glaub mir sowieso nix mehr
Und draußen tobt der Herbst als wolle er sagen:
Steh endlich auf lange mach ich das nicht mehr mit
Ja und während ich so vor mich hin grantele hab ich
Gar nicht gemerkt
Daß ich aufgestanden bin Zähne geputzt
Dusche benutzt angezogen bin
Automatisch alles weil ich dachte es hat ja keinen Sinn
Und dann frühstücke ich ziemlich lang
So lang daß ich danach am liebsten wieder ins Bett gehen möchte
So müd bin ich dann schon wieder
Und alle sagen du das liegt am Wetter ganz bestimmt
Und während sie das noch sagen schlaf ich schon mit einem
Auge wieder ein
Und das andere Auge hält Wache
Damit die Welt mich nicht
Übers Ohr haut.
 
Hanns Dieter Hüsch
 
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.