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„Boulevard Bio - Die ersten 10 Jahre“ von Hrsg. Klaus Michael Heinz

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Onkel Huihuihui

„Boulevard Bio - Die ersten 10 Jahre“
von Hrsg. Klaus Michael Heinz
 

Meine Damen und Herren!
Über Bio ist eigentlich alles schon gesagt worden. Deshalb soll er selbst noch mal zu Wort kommen:
„Hmmmmmh! Hmmmmmh!“
„Hui, hui, hui, hui, hui, hui, hui!“
„Neeeiiin, is‘ das toll!“

„Ja, ja, ja, ja, ja, ja, jaaah!“
„Hui, hui, hui, hui, hui, hui, hui!“
„Is‘ das wahr?“
„Is ja enorm!“

„Hmmmmmh! Hmmmmmmh!“
„Is‘ ja nich‘ wahr!“
„Is‘ ja enorm!“

„Hui, hui, hui, hui, hui, hui, hui!“
„Sie sind mir aber einer!“
„Is‘ ja enorm!“

„Und Ihre Eltern? Was ham‘ die denn da gesagt?“
„Und was hat das dann mit Ihnen so gemacht?“

„Hui, hui, hui!“
„Is‘ ja enorm!“


Meine Damen und Herren, das alles ist natürlich jetzt nur ein Bruchteil dessen, was der Medienweizsäcker Doktor Alfred Franz Maria Biolek im Verlauf seiner letzten 10 Fernsehjahre so durch die Röhre geschnattert hat. Und im Titel „Boulevard Bio – Die ersten 10 Jahre“ steckt obendrein noch der dezente Hinweis, daß wir uns noch auf ein weiteres Jahrzehnt mit Bio freuen dürfen.
Gut, „Boulevard Bio“ hat er eingestampft! Aber ob er nu harmlose Leute beim Brutzeln zuquatscht – oder ohne Brutzeln - den Fernseh-Löffel wird dieser Mann zu seinen Lebzeiten um’s Verrecken nicht abgeben.
Is auch völlig wurscht. Woll’n wa mal schauen, was er hier angerichtet hat!
Am 7. August 1991 um Punkt 23 Uhr kam das „Boulevard-Bio“-Drama in die Gänge. Seitdem hat unser Kulturpfuscher und Irrenarzt Dr. Alfred Biolek mehr als 1478 Patienten behandelt, d.h. nach bestem Wissen und Gewissen blöd-, voll- und weichgelabert, mit dem Erfolg, daß nicht ein einziger als geheilt nach Hause ging; was ja auch beabsichtigt war: Denn die sollen ja alle noch mal wiederkommen. Außerdem sollte die Sendung ursprünglich offiziell heißen – und jetzt halten se sich fest – das sagt er da selber: „Bei Nacht und Nebel“ bzw. „Klappe auf“ - und jetzt kommt das beste „Laberland“.
Da kann man mal sehen, wie selbstkritisch der Mann vor 10 Jahren noch war. Auf den ersten 59 Seiten wird volles Rohr zunächst einmal Lob gehudelt, gesudelt und gedudelt, daß die Rosetten nur so quietschen. Eine ranzige Hofschranze nach der andern schleimt sich durch den Sackbahnhof Bio, von Götz Alsmann und Beikircher über Norbert Blüm und Stuckrad-Barre bis hin zu Ma Anand Taruna alias Barbara Rütting alias Roger Willemsen. Und dann liest man plötzlich auf Seite 60 einen schwer-depressiven Biosatz und faßt sich an den Latz:
„Durch das Fernsehen wird kein Mensch, aber viel Geist getötet!“
Hui, hui, hui, hui, hui,hui, hui! Is ja enorm! Ausgerechnet die durchge­nudeldste Lallqualle und dienstälteste TV-Freudenfrau im scham- und würdelosesten Rotlichtmilieu der Bumsrepublik läßt solchen Kultur-Pessimismus ab! Hey, Alfi! Was soll das sein? Postpubertäre Provo­kation oder präsenile Angst vor Gott? Ein Wickertscher Versprecher
oder nur ein sinnlos in die ARD eingeschlagener Gedankenblitz?
Und sag jetzt bitte nich‘: „Das is‘ ja enorm!“
Egal, zurück zu Bios Boulevardschinken – erschienen bei Kiepenheuer &Witsch&Weg, zurück zu den 1478 Öffentlichkeits-scheuen Bratpfan­nengesichtern, und zwar pars pro toto zu einer, die seit einiger Zeit als sog. Wolfgang Thierse durch die Landschaft dackelt.
Als Hauptkriterium für die freundliche Aufnahme in Bios televisionäre Gespensterrunde gilt einzig&allein – und ich zitiere noch mal Onkel Huihuhui persönlich:
„Eine Geschichte ist für mich dann gut, wenn sie emotio­nalisiert. Denn wir mit unserer Sendezeit um 23 Uhr abends haben ja nur einen ganz großen Feind: das Bett.“
Nun, wie man allerdings Wolfgang Thierse einladen kann, wenn der größte Feind die Müdigkeit ist, bleibt zwar ein wenig schleierhaft, aber emotionalisieren, das kann er, der gewitzte Bart- und Zottelmann von hinter der Elbe. (Und schon macht sich wieder Trauer um die Mauer breit.) Wolfgang Thierse in Amt und Würden und im Original:
„Ich habe in meiner Anfangszeit viele Schlipse zugeschickt bekommen, auch Kämme, viele Briefe, die sich mit meinem Äußeren befaßten. Mir schrieben also viele ganz freundlich: ‚Herr Thierse, was Sie sagen, ist wunderbar, Sie sprechen uns aus dem Herzen, aber Ihr Bart, Ihre Haare ... – Können Sie nicht ... und ‘nen Schlips müßten Sie gelegentlich tragen, dann würde alles noch viel besser wirken.“
Und was sagt Bio dazu? Bio sagt:
„Das ist ja enorm!“ Hmmh! Hmmmh! „Das ist aber auch natür­lich dieses Zeitalter, in dem wir leben, wo die Medien so eine große Rolle spielen und damit natürlich auch das Äußere.“
Ja, ja, ja, natürlich. Und so geht das 260 arscherhellende Seiten lang.
Bis auf eine Stelle, meine Damen und Herren, wegen der Sie das Buch von mir aus klauen, aber nu‘ wirklich nicht extra kaufen müssen. May­britt Illner fragt Bio, den Großfuton der koketten Ahnungslosigkeit und Partisanen gegen die Müdigkeit:
„Bio, kennen Sie den Witz mit dem Franzosen, dem Engländer und dem Deutschen, die zu dritt kurz vor der Erschießung stehen und jeweils nur noch einen Wunsch frei haben?“ Darauf Bio diesmal nich‘: „Das is‘ ja enorm!“, sondern schlicht und ergreifend: „Nein.“
Darauf Frau Illner:
„Der Franzose wünscht sich ein großes Essen. Der Deutsche wünscht sich, vor seinem Tod noch mal eine große Rede zu halten. Und der Engländer wünscht sich ... vor der Rede des Deutschen erschossen zu werden.“
Und was antwortet unser Bio? Genau. „Das is‘ ja enorm!“
Gute Nacht.

Nov. 2001
 
Redaktion: Frank Becker