Tête-à-tête mit dem Kaiser

Napoleon und die Franzosen im Rheinland (7)

von Konrad Beikircher

Tête-à-tête mit dem Kaiser (7)
 
Napoleon und die Franzosen im Rheinland

Die Fünfte entstand in einer Zeit, in der Beethoven definitiv neue Wege ging und in der es finanziell etwas durcheinander ging, bis sich - ausgelöst durch ein verlockendes Angebot - alles zur Zufriedenheit des Komponisten löste. Das Angebot schildert Beethoven kurz in einem Brief an Baron Ignaz von Gleichenstein vom 1. November 1808:
„Liederlicher Baron - ich hab dich gestern umsonst erwartet - ... ich habe einen schönen Antrag als Kapellmeister vom König von Westphalen erhalten - man will mich gut bezahlen - ich soll sagen wieviel Dukaten ich haben will - etc - ich möchte das mit dir überlegen - wenn du daher kannst, komm diesen Nachmittag gegen halb 4 zu mir - diesen Morgen muß ich ausgehen“.
Wer ist nun dieser König von Westphalen? Sie werden es nicht glauben: der Bruder Napoleons, Jérome Buonaparte! Der hatte von Napoleon das extra für ihn gegründete Königreich Westfalen übertragen bekommen (saß damit in Kassel und war dem Kaiser aus den Füßen!).
Wir fragen uns natürlich: ein Angebot aus dem Hause Buonaparte ernsthaft zu überlegen, bedeutet, daß Beethoven seine Verachtung Napoleons überwunden haben muß, oder? Vielleicht aber wußte er da schon, daß das Angebot eine willkommene Pokerkarte ist, um seinen Wiener Förderern den Schock des „Jetzt geht er wirklich“ zu versetzen und damit ihre Förderwilligkeit erheblich zu verstärken. Es hat auch - falls Beethoven Jérome tatsächlich zum Pokern benutzte - geklappt, denn er erhielt im Januar 1809 vom Erzherzog Rudolph sowie den Fürsten Lobkowitz und Kinsky die Zusage, jährlich 4000 Gulden als Rente zu bekommen (was sich die drei teilten), worüber am 1.März 1809 feierlich ein Vertrag unterzeichnet wurde.
Die Fünfte wurde also in einem Jahr vollendet und uraufgeführt, das beinahe Beethovens letztes Jahr in Wien hätte werden können. Andererseits: ER als Rheinländer in Westfalen - das wäre NIEMALS gut gegangen!
 
Und jetzt kommt der Hinweis auf etwas, was erst seit kurzem bekannt ist(die Zeitgenossen Beethovens wußten es allerdings). Peter Gülke, Herausgeber einer beachtenswerten Ausgabe der Fünften, hat auf den offenkundigen, absichtlichen Zusammenhang der Fünften mit der Musik der französischen Revolution hingewiesen. Das Nebenthema (in Takt 47/48 taucht es im Cello das erstemal auf und ab da immer wieder bis zur geradezu apotheotischen Verklärung durch Hörner und Posaunen in Takt 303 - 307), dieses berühmte ta - daa daa - daaaa (g - fis - g - a) stammt aus einem Lied, das Rouget de Lisle, der Autor der Marseillaise, komponiert hat und dem die Worte zugrunde liegen: „La liberté, la liberté“. Das heißt, Beethoven hat mit voller Absicht ein Revolutionslied, das dann die napoleonischen Soldaten bei ihren Angriffen durch ganz Europa trugen, in seine Fünfte eingebaut: ein absoluter Hit! Vielleicht wurde ihm die C-Dur-Verklärung im vierten Satz doch etwas zuviel, so daß er da ein politisches Bekenntnis für die Revolution dann doch noch äußern wollte, wer weiß.
 
Und schließlich der Fidelio und seine Uraufführung, das heißt: die Uraufführung der ersten Fassung am 20. November 1805 im Theater an der Wien. Pech für Beethoven war, daß die Uraufführung in eine ziemlich turbulente Zeit fiel. Am 13. November, also gerade mal vor sieben Tagen, zog Napoleon und die Franzosen mit 15.000 Mann aller Waffengattungen in Wien ein, am 15. besetzte Bonaparte das Schloß Schönbrunn, der Adel war geflohen, wie immer, wenn man ihn gebraucht hätte. Wien wimmelte von französischen Soldaten und Offizieren, das Durcheinander kann man sich ja vorstellen, und genau diese Offiziere waren auch in der Uraufführung und stellten den Großteil des Publikums. Der eine oder andere von ihnen wird sicherlich Beethoven gekannt haben, ob sie allerdings des Deutschen mächtig waren, darf bezweifelt werden. Das sind natürlich Super-Bedingungen für die Uraufführung einer Oper.
 
Wenn dann noch dazu kommt, daß man den Chor der Gefangenen als Anti-Franzosen-Chor auffassen konnte, was der eine oder andere sicher getan hat, dann haben wir das Dilemma perfekt. Die Uraufführung also war nicht unbedingt der Bringer.
Die „Leipziger allgemeine musikalische Zeitung“ schreibt am 8. Januar 1806 über diese erste Vorstellung unter anderem:
„Das Ganze, wenn es ruhig und vorurteilsfrei betrachtet wird, ist weder durch Erfindung noch durch Ausführung hervorstechend... Den Singstücken liegt gewöhnlich keine neue Idee zum Grunde, sie sind größtenteils zu lange gehalten, der Text ist unaufhörlich wiederholt, und endlich auch zuweilen die Charakteristik auffallend verfehlt... Die Chöre sind von keinem Effekte, und einer derselben, der die Freude der Gefangenen über den Genuß der freien Luft bezeichnet, ist offenbar mißraten. Auch die Aufführung war nicht vorzüglich.
Dem. Milder hat, trotz ihrer schönen Stimme, doch für die Rolle des Fidelio viel zu wenig Affekt und Leben, und Demmer intonierte fast immer zu tief. Alles das zusammengenommen, auch wohl zum Teile die jetzigen Verhältnisse, machten, daß die Oper nur dreimal gegeben werden konnte.“
 
Vergleichsweise vernichtend also, oder?! Fräulein Milder, die später durch ihren Fidelio berühmt geworden ist, war da erst zwanzig Jahre alt, woher also sollte sie die Kraft nehmen, so eine Rolle zu singen. Herr Demmer übrigens war der Sänger des Florestan.
Ein anderer Besucher der Uraufführung kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis. Dr. Henry Reeve notiert in seinem Tagebuch unter Donnerstag, den 21. November 1805:
„Die Geschichte und der Plan des Stückes ist ein trauriges Gemisch von schlechten Handlungen und romantischen Situationen; die Arien, Duette und Chöre verdienen jedes Lob... Dies ist die erste Oper, welche er überhaupt komponiert hat, und sie wurde stark applaudiert...
Beethoven saß am Klavier und dirigierte die Aufführung selbst. Er ist ein kleiner, dunkler, noch jung aussehender Mann, trägt eine Brille und sieht Herrn König ähnlich. Nur wenig Zuhörer waren anwesend; der gegenwärtige Zustand der öffentlichen Angelegenheiten trug die Schuld daran, sonst wäre jedenfalls das Haus in allen Teilen gefüllt gewesen.“
Schade, daß wir nicht wissen, wer Herr König ist, dem Beethoven so ähnlich sah!
Sie sehen also, auch die Premiere von Fidelios erster Fassung war das, was man von den Premieren heute auch kennt: die einen sagen so, die anderen sagen so.
 
Soweit also uns Ludwig und Napoleon. Ein paar abschließende Bemerkungen möchte ich mir demnächst erlauben, bevor wir uns anderen Themen zuwenden.

In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher

Redaktion: Frank Becker