Eine Bühnenfigur aus Kolumnen

„Und jetzt: Die Welt!“ - Ein Stück von Sibylle Berg am Schauspiel Wuppertal

von Martin Hagemeyer

Foto © Sebastian Eichhorn

Eine Bühnenfigur aus Kolumnen
 
„Und jetzt: Die Welt!“

Ein Stück von Sibylle Berg
am Schauspiel Wuppertal als Solo mit Philippine Pachl
 
Regie: Helene Vogel - Bühne: Helene Vogel / Wolfgang Heidler - Musik: Jan Breskott / Johannes Farrenkopf / Christoph Haase - Video: Gian Issel - Dramaturgie: Mona vom Dahl.
Besetzung: Philippine Pachl.
 
Ein Leben in unserer Zeit: Vielleicht käme solch eine Formulierung näher an Sibylle Bergs Stück heran als sein länglicher Titel „Und jetzt: Die Welt! oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“. An das Stück oder speziell seine Inszenierung am Schauspiel Wuppertal mit Philippine Pachl, die sich damit im Rahmen der Reihe „Visitenkarten“ dem Publikum vorstellt. Die Vorlage scheint nämlich recht irritierend zu changieren – zwischen Figurenrede und Zeitdiagnose, zwischen Sonderfall und Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
Die Lösung in der Regie von Helene Vogel legt da deutlich den Fokus auf einen Aspekt modernen Lebens, der junge Menschen unübersehbar prägt und auch künstlerisch inzwischen öfters aufgegriffen wird: die Selbstdarstellung im Internet. Unübersehbar ist er auch durchgängig im Bühnenraum, in dem Pachl über achtzig Minuten hinweg allein agiert: Auf einer großen Leinwand wird die namenlose Zwanzigerin beim Reden, Spotten, Räsonieren gezeigt, nein: zeigt sie sich selbst. Denn gezielt hält sie den Kopf mit Weißblondperücke in die Kamera, wenn sie bewußt einen gewissen Paul angeht und mit ihm abrechnet. Mit ihm als Beispiel, vor allem aber mit dem Zeitgeist als Grundproblem. Ein Zeitgeist freilich, an dem sie selbst fleißig mitwirkt.
 
Auf Seite dieser Zeitkritik finden sich viele Gemeinplätze – Klagen über Schönheitswahn etwa: „Die Welt braucht nur Marathonläufer“. Gewitzel über politische Korrektheit, übrigens unverstandene: „Suboptimale Einkommensstruktur“ statt „Dritte Welt“ wäre als Formulierung sicher gerade nicht „korrekt“, weil verharmlosend. Nicht ganz leicht, derlei Versatzstücke an die Figur zu koppeln. Denn die will ja eine konkrete Person sein und ist in der Tat fast zu speziell, um zum Exempel zu taugen: Mit Freundinnen verkauft sie heute online Potenzmittel, während früher Prügelattacken mit der „Gang“ an der Tagesordnung waren.
Ist man denn so als Frau, heutzutage? Es scheint, Sibylle Berg zwingt hier eine doch zumindest ungewöhnliche Biografie zusammen mit eher massentauglichem Zivilisationsspott, wie sie ihn auch als Prosaautorin und Kolumnistin betreibt.
 
Doch auf der Bühne steht nun einmal eine Person. Und unterm Strich: Doch, eine Person entsteht bei Pachl. Eine ziemlich aggressive, deren Wut im Bauch dann auch Sätze trägt wie: „Statt irgendwen zu ficken, könnte man die Zeit zum Bauen von utopischen Lebensgemeinschaften verwenden.“ Mit ebenfalls wuchtigen Träumen, die allerdings nur sichtbar werden, als sie sich einmal wegwendet von der Kamera – ein starker und einleuchtender Bühneneffekt. Und schließlich mit ein paar kleinen Momenten, in denen noch eine andere Seite anklingt: Mal macht sie die Perücke zum fiktiven Gegenüber und imaginiert makaber einen sterbenden Verehrer, mal werden die Hände statt sonst geballter Fäuste für Sekunden zu sprechenden Grimassen. Ist sie bei allem Narzißmus am Ende ein Kindskopf? Vielleicht (schön wär's) – jedenfalls braucht es wohl solche Momente, damit diese Figur schließlich doch noch zur Person wird.
 
Und jetzt: Die Welt! oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen. Ein Text von Sibylle Berg.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de