La vie en rose

Theater an der Ruhr mit Jean Genets „Die Wände“

von Frank Becker

La vie en rose
Theater an der Ruhr mit Jean Genets „Die Wände“
 
Remscheid, Teo Otto Theater. Jean Genet sei ein Poet des Unflats, das Stück eine genialische Wucherung, schrieb Friedrich Luft zur Uraufführung von „Die Wände“ (Les paravents) im Berliner Schloßpark-Theater1961. In Schicksal und Weltsicht verwandt den Absinth-Trinkern der Bohème um 1900, ein Rimbaud des Blutes und Ekels hatte Genet die Abrechnung mit der französischen Gesellschaft auf seinen Schild geschrieben. „Die Wände“ war ein so politisches Stück, daß es auf dem Höhepunkt des französischen Algerien-Krieges der V. Republik des Generals Charles de Gaulle in Frankreich nicht aufgeführt werden konnte. Es ist das Protokoll des Zerfalls einer Kolonialmacht, die Soldaten, Huren und Ausbeutung ins Land gebracht hat und mit leeren Händen und zerfetzten Leibern geschlagen den Rückzug antreten muß.
 
Nach dem Verlust Indochinas krallten sich die französischen Kolonialisten ins Fleisch des Maghreb, willens, diese letzte Bastion ihres arroganten Übermenschentums zu halten. Genet zeigt Auswüchse, Schmutz und Dreck, in dem die Underdogs - vertreten durch Said (Ferhade Feqi) und Leila (Simone Thoma) - verrecken und die pomadige, zunehmend von Angst beherrschte Welt der kontinentalen „Elite“. Zielscheibe des Hohns Genets ist vor allem das Militär der „Grande nation“, in dem ein geflügelter Unteroffizier das Schwert als Kreuz vor sich her trägt und ein Messdiener den Leutnant wie einen Priester für die kriegerische Liturgie kleidet.   
 
Schon Hans Lietzau hatte die Uraufführung mit vier Stunden auf die Hälfte des Buches gebracht. Roberto Ciulli inszenierte das Drama für sein Theater an der Ruhr in einer in Text  und Personal noch weiter abgespeckten Fassung von 140 Minuten, in denen er im Kostüm eines Robespierre die Bühne mit Schädelkalotten, Mülltonne und einem symbolischen Paravent durchmißt, während er philosophische Diskurse über den Tod hält. Diese Raffung kam zwar der Konzentration des Betrachters entgegen, dennoch schliefen einige Zuschauer recht bald ein, andere verließen unter dem Eindruck der fäkalreichen Sprache frühzeitig das Theater. Genet ist starker Tobak, den man nicht mögen muß.
 
Wer blieb, wurde mit einzelnen Kabinettstückchen wie der Darstellung des Leutnants (Peter Schröder) und dekadenten Figuren wie dem Zerrbild de Gaulles (Rupert J. Seidl) belohnt. Mit Zaunpfahlwinken durch vermummte Islamisten mit Sprengstoffgürteln wurde eine neue Aktualität vermittelt. Dennoch ist für das tiefere Verständnis dieser Haßorgie die Kenntnis historischer Zusammenhänge unbedingt erforderlich. Denn erst dann läßt sich der gedankliche Faden ins Heute des Nahen und Mittleren Ostens weiterspinnen.
 
Frank Becker, 12.2.04