Der Spott der kleinen Dinge

Verkaufsoffen

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Verkaufsoffen
 
Neulich war ich Teil eines verkaufsoffenen Sonntags. Ich hatte mir immer geschworen, daß ich nie zu so etwas gehen würde. Da ich mich für Politik interessiere, habe ich erfahren müssen, daß beim Schwören auch nur mit Wasser gekocht wird. Politisch ging der Besuch also völlig in Ordnung.
     Meine Abneigung gegen ungewöhnliche Öffnungszeiten ist genetisch bedingt. Meine Großeltern hatten ein Blumengeschäft. Zur Blütezeit dieses Geschäfts waren Nelken und Iris der Klassiker, um bei Frauen gut anzukommen. Oder wieder gut anzukommen.
     Es war immer Sonntag, halb zwei, der Laden war zu, die Oma hatte gerade ihre Perücke abgenommen, um sich schön aufs Ohr zu legen, da klingelte es. Der Grund für das Klingeln war immer gleich. Ein Mann hatte in der Musketier-Schänke, die neben dem Laden lag, mehrere Herrengedecke getrunken, aber erst beim Verlassen der Schänke bemerkt, daß das ein Fehler war. Der Mann lallte in die Gegensprechanlage. Er bat um Verkaufsoffenheit. Die Oma verstand, nahm die Perücke von der Korridorgarderobe und machte, „was Nettes, so für fünf Mark?“. Einmal habe ich gesehen, wie ein Mann danach mit seinen Versöhnungs-Nelken auf dem Bürgersteig eingeschlafen war. Da hatte die Oma die Perücke schon längst wieder an den Nagel gehängt. Ich habe es ihr nicht erzählt.
     Mein verkaufsoffener Sonntag 30 Jahre danach fand in einem großen Einkaufszentrum statt. Es gab keine Perücken. Die Männer waren nüchtern. Ich fand das den Beweis, daß Geschichte sich nicht wiederholt. Was anders war als alltags: Die Menschen wirkten fröhlicher. Als würde man heute Spielgeld nehmen. Viele hatten so Kirchentagsgesichter, als hätten sie eben eines dieser süßlichen Friedenslieder gesungen, die dazu führen, daß man auch dem größten Feind verzeiht. Ein Mann mußte einen Anorak anprobieren. Er wirkte völlig unbeteiligt und schaute mit jenem Blick, wie ihn Hunde beim Austreten haben. Die Frau bediente unterdessen seinen Reißverschluß und zerrte an den Ärmeln. Sie unterhielt sich mit dem Verkäufer und sagte: „Er hat leider eine komische Figur!“
     Gekauft habe ich nichts. Eigentlich war ja auch zu.
 
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.