Große Lyrik

Gedichte aus Arnim Juhres Nachlaß

von Frank Becker

Arnim Juhre - Foto © Frank Becker
Große Lyrik
 
Am 28. September starb der Berliner Lyriker, Schriftsteller und Journalist Arnim Juhre im Alter von 89 Jahren in seiner Wuppertaler Wahlheimat. Seine bewegte Biographie verzeichnet auch die Heimkehr nach der Kriegsgefangenschaft 1945 ins fast völlig zerstörte Berlin. Der Vater blieb im Krieg vermißt, der 19jährige stand vor der Aufgabe, sechs Geschwister und die Mutter durchzubringen. In dieser Zeit größter Not sind Gedichte entstanden, die schonungslos und ergreifend den seelischen Zustand der vielen Verzweifelten in dieser schrecklichen Zeit illustrieren, die wie Wolfgang Borcherts Beckmann vor dem moralischen und wirtschaftlichen Nichts stehen, um das blanke Überleben ringen müssen. Arnim Juhre belegt mit diesen bewegenden Gedichten, die erschüttern und sich tief einbrennen, einen wichtigen Platz in der deutschen Nachkriegsliteratur, auf Augenhöhe mit Heinrich Böll, Charles Etienne, Wolfgang Borchert oder Hans Bender.
Zuerst 1950 in illustrer Gesellschaft in der Anthologie „Die Dichterbühne“ des Erich Blaschker Verlags erschienen, dürfen wir Ihnen mit Erlaubnis von Arnim Juhres Sohn und Nachlaßverwalter Martin Juhre die sieben Texte vorstellen, die jene Anthologie vor 65 Jahren transportiert hat. Von heute an bis über die Jahreswende können Sie jeweils sonntags an dieser Stelle eines der Gedichte lesen.
 
 
Die Krähen schreien

Die krähen schreien nach dem herbst.
Nebel quelln aus den verstecken
blähen sich zu kühen auf
gehen käuend über wiesen
legen sich in schwaden nieder.
Der winter schlägt sie tot.
Nachtfrost steht mit seinem dolch daneben.
Zu blanken tropfen eis wird alles blut.
Der herbst hat sich vom ufer abgestoßen
treibt ruderlos den strom hinab
vorbei an allen feldern.
Nirgends hält er an.
Nirgends gibt es ernten.
Ein paar pferde haben sich losgerissen
stelzen im land herum
an allen gliedern zerschunden.
Aus ihren beinen tröpfelt das mark
und die äcker warten vergebens.
Morgens kräht kein hahn mehr auf den höfen
Nur die hunde bellen abends
und bis in die nacht hinein
und bis in den morgen.
Bettelvolk kommt in der früh gegangen
schwankt durch kalte gassen
klopft an alle türen
kennt kein brot mehr.
Zuckend greift es nach rübenblättern
und um drei erfrorene kartoffeln
geht bittrer neid.

Arnim Juhre
 
 
© Martin Juhre