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 Schattenwürfe Wäre ich eine Biene,  würde ich Brennesselhonig machen. Tomi Ungerer Tomi  Ungerer (*1931) ist wahrhaft ein Hans Dampf in allen Gassen. Seit 60  Jahren mit der Zeichenfeder Meister der einfühlsamen Buchillustration  ebenso wie ein genialer Graphiker als Plakatgestalter, ist er auch ein  liebevoller Kinderbuchautor und ein unerreichter satirischer, ja  hinreißend zynischer Cartoonist („Ich liebe es zu zeichnen, was ich  hasse.“). Nach seiner ersten Aphorismensammlung „Die Hölle ist das Paradies des Teufels“ (2008) beweist er nun mit „Besser  nie als spät“, abermals seinen Rang als scharfsinniger Denker und  pointierter Aphoristiker. „Neue Gedanken und Notizen“ des Elsässers  präsentiert Diogenes in gewohnt edler Aufmachung, nennt sie „Tomismen“  und gibt dem Leser ein mit Anekdoten gespicktes weiteres lesens- und  beherzigenswertes Kompendium kluger Gedanken und Definitionen an die  Hand. Damit man im Fall der persönlichen Ratlosigkeit nicht allzu lange  blättern muß, sind die Texte zu den Fragen des Lebens in 24 kleine  Kapitel zu bestimmten Stichworten wie z.B. „Krieg und Frieden“,  „Modernes Leben“, „Höhere Mächte“, „Erotik“, „Anatomie“, „Dämonen“ oder  „Kinder und Erwachsene“ eingeteilt.  Da Sie  jetzt gerade die „Musenblätter“ lesen, wollen wir doch mal schauen, was  Tomi Ungerer zum Thema „Musen“ notiert hat: „Man wirft meinen  Zeichnungen oft vor, sie seien morbid und übertrieben. Doch die  Situationen, die ich zeichne, sind morbid und übertrieben. Wie sonst  soll ich meinen Ekel ausdrücken?“. Oder: „Die Satire ist ein Gebiet, in  dem der Künstler, zugleich Feuerzeug und Flammenwerfer, lustvoll Brände  stiftet.“ Schließlich: „Beim Zeichnen ist meine Feder ein Dolch, mein  Stift ein Pfeil, mein Pinsel kitzlig wie eine Frage.“ Da kommt sich  Ungerer schon sehr nahe. 
 Daß der  Autor seine Texte auch illustriert, liegt auf der Hand. 40 treffliche  Zeichnungen hat Tomi Ungerer für die 143 Seiten angefertigt -  Schattenwürfe, wie viele seiner Bemerkungen - und die machen mindestens  ebensoviel Spaß wie die Texte dazu. Ungerer wäre nicht Ungerer, wenn er  nicht mit der Religion hadern („Ich habe zu viel Respekt vor den  Menschen, um an Gott zu glauben.“) und über das erotische Miteinander  raisonnieren würde („Daß ein Geschlechtsteil als erregtes großes Stück  rohen Fleisches in eine feuchte Öffnung stößt, ist an sich nichts  Besonderes, und der Genuß, den man daraus gewinnt, läuft auf ein paar  viel zu kurze Spasmen hinaus. Sex bringt selbst das niederste Tier  zustande. Erotik ist eine intellektuelle Leistung.“). Jetzt muß  ich nur noch dem Titel des Buches widersprechen, dann will ich Ihnen  die eigene Lektüre anempfehlen: „Besser nie als spät“ mag als Aphorismus  taugen, in Bezug auf das Buch muß ich jedoch von der Beherzigung  abraten. Es nämlich nie zu lesen, wäre ein Fehler. Lesen Sie es, wenn  auch spät.  Freundschaft ist der Dünger des Herzens. Tomi Ungerer Tomi Ungerer – „Besser nie als spät“ Neue Gedanken und Notizen – ausgewählt von Margeaux de Weck und Philipp Kiel © 2015 Diogenes Verlag, 143 Seiten, Ganzleinen m.SchU., Mit 40 Zeichnungen des Autors ISBN 978-3-257-06949-5 € (D) 20,- / (A) 20,60 / sFr 27,- Weitere Informationen:  www.diogenes.ch  | 


 
 