Dreifacher Rohrkrepierer

Der Hamburger Autor Konrad Lorenz als Gesamtkunstwerker

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Weychardt
Dreifacher Rohrkrepierer
Der Hamburger Autor Konrad Lorenz
als Gesamtkunstwerker
 
Norddeutsche Notizen
von Andreas Greve
 
Mensch, Konrad, was mach ich denn jetzt mit dir? Kannst du die Füße nicht mal etwas still halten! Ich komm da ja sonst nicht mehr hinterher: Auftritt hier, Auftritt da, mit Musik und ohne Musik - und nun gibt es auch noch dein Leben als Comic. Als ich den Wälzer sah, dachte ich: Schwarz-weiß paßt stilistisch haargenau auf Hamburg in den 50er und 60er Jahren – jedenfalls zu deinem St. Pauli und meinem Ottensen. Auch wenn die Straßenbahn, die von uns zu euch und dann am Hafen lang fuhr, rot war. Und Ottensen braun wie kalte Kohlen-Asche mit diesen schmuddeligen Straßen in Sepia. Wir sind ja 10 Jahre auseinander, also war ich zu deiner Kindheit noch gar nicht auf Kiel gelegt und deine Halbstarkenzeit war in etwa meine Kindheit. Du als Jahrgang ´42 hast folglich noch viel mehr von Kriegsende und dessen Folgen in deinem ersten Roman (schon gut, ich weiß, es gab einen davor). Ich nenne nun also den „Rohrkrepierer“ von 2011 ersten und den chronologischen Nachfolger „Dwarsläufer“ von 2013 zweiten Roman, ok?
 
Ich habe mir nochmal den „Rohrkrepierer“ in Gänze zu Gemüte geführt, um gewappnet zu sein für eine Besprechung der Bearbeitung deines
Romanstoffes als Graphic Novel – oder Umarbeitung zu einer 300seitigen Bildergeschichte durch Isabel Kreitz, die einige Jahre zuvor bereits den berüchtigten Mörder „Haarmann“ bei Carlsen herausbrachte und davor Uwe Tims berühmte „Currywurst“. Da kann man sich doch auf jeden Fall gebauchpinselt fühlen, daß Isabel Kreitz sich des Buches bedienen wollte. Zumal sie auch „Pünktchen und Anton“ bezeichnet hat.
Aber das reicht dir offenbar noch nicht:
Jetzt kam neulich auch noch die „Tresenkönigin“ Hermine als Rohfassung für ein Musical auf die Wettbewerbs-Bühne im Schmidt-Theater. Der Bühnen-Erzählstoff stammt direkt aus dem „Rohrkrepierer“. Du hast ihn nur ein wenig „dramatisiert“. Sogar etwas zu viel, nach meinem Geschmack. Um es mal vorweg zu nehmen: Das ging mir all zu sehr in Richtung „Ohnsorgical“ – und zwar das Ohnsorg-Theater a la „Tratsch im Treppenhaus“ und nicht das neumoderne heutige, das glatt Shakespeare oder auch Hans Fallada auf Plattdeutsch bringen würde. Es war mir irgendwie zu betulich, wenngleich es auf mich genauso wirkte wie Heidi Kabel auf meine Oma: Ich saß da und grinste stillvergnügt, fand die Musik schmissig und Hermines Gesang ansteckend und als irgendwann aus Versehen die Pappkulisse umfiel, wurde ich dadurch keiner einzigen Illusion beraubt.

Mehr will ich dazu jetzt nicht sagen – aber Glückwunsch, daß ihr in die Endausscheidung des „Creator-Wettbewerbs“ von Corny Littmann gekommen seid. Und der Sängerin und dem Ensemble von „Hafennacht“ höre ich sowieso sehr gerne zu.


Tresenkönigin - Foto © Schmidt-Theater
 
Das Sein bestimmt
 
Auch wenn man die Umwelt und das soziale Umfeld dauernd leichtzüngig im Munde führt, macht man sich doch zu selten klar, wie sehr einen die eigene architektonische Kindheitskulisse bestimmt hat und immer noch beeinflußt. Ich fühle mich an Orten „zuhause“, die andere als unwirtlich und abgerockt empfinden würden. (Und ich mag immer noch den Tonfall, der in den „schlechteren“ Hamburger Stadtteilen gepflegt wurde. Ich kann ihn auch noch.) Im gezeichneten Rohrkrepierer ist diese gebaute respektive zerstörte Umgebung wieder permanent präsent. Aber es ist streckenweise verdammt lang zwischen den Sprechblasen … für mich.
Mein großer Spaß, wenn ich deinen Rohrkrepierer-Roman lese: Die Schnacks. Die Pointen. Der Hamburger Humor. Und es ist mehr als Lokal-Kolorit. Das ist regionale Literatur. Das erklärt die Norddeutsche Art, indem sie sie ausmalt. Obendrein is ne gute Portion Platt dazwischen. Die Frage ist, wen man damit erreicht. Würde man dieses Buch in Dublin lesen? Oder in Dortmund oder Köln? „Dialektisch“ gesehen, meine ich. Quasi als faire Gegenleistung dafür, daß wir uns auch klaglos BAP reingezogen haben – und James Joyce …
Topos und Thema sind top: Hamburg ist ja nun auch nicht gerade ein unbekanntes Provinznest.
Was du großartig – zeitlos und überregional – zeichnest und beschreibst, sind die kleinen und großen Tagesordnungspunkte des Aufwachsens als Junge. Bis hin zur ersten Liebe. Und da ist es nicht die Frage, ob sie sich nun kriegen oder nicht, die das Lesen befeuert, sondern die genaue Schilderung des jähen Wechsels der emotionalen Grundkonsistenz: Auf einmal ist die Welt eine andere.
Und da gefällt mir auch die Verschiedenheit des Tonfalls und teilweise des Erzählstils im Aufbau des Buches – es ist eben nicht alles aus einem Guß. Genau wie das Leben.
Katja Engler beschrieb deinen Stil in einem Artikel im Hamburger Abendblatt: „in jener unwiderstehlichen Mischung aus Hamburger Straßenslang, Selbstgesprächen und einer deutlichen literarischen Neigung.“ Na, Neigung ist vielleicht nicht so glücklich gewählt. Profi bist du ja allemal.


  © Isabel Kreitz / Carlsen Verlag
 
Mein Problem hier und jetzt ist ein ganz anderes: Ich kann keine Comics lesen. Ich dachte, ich könnte es mittlerweile, aber: Is nich. Ich kann Respekt haben vor der Leistung von Isabel Kreitz. Ich kann auch durchaus Unverständnis dafür haben, daß jemand drei Jahre seines Lebens für das tägliche Zeichnen an einem Buch hergeben möchte (was aber gar nicht so schwer zu verstehen ist, wenn es eine immerwährende Freude ist, das zu tun und das zu dürfen). Und ich kann nur immer wieder den numerischen Hut ziehen: 300 Seiten mit jeweils fünf oder sechs selbständigen, in sich geschlossenen Bildern, das sind ja, das sind ja …. enorm v i e l e Zeichnungen!
 
Bilder lesen lernen
 
Da springt mir zum Glück die Künstlerin in einem Interview, das mal im „Tagesspiegel“ stand, bei: Überhaupt sei das Lesen von Bildsequenzen nicht so leicht. „Das simultane Wahrnehmen von Bild und Text erfordert Übung wie das Lesen von Noten, Stadtplänen und anderen Text/Bild-Kombinationen. Stellt man nur zwei Bilder nebeneinander, wird zwanghaft ein Zusammenhang gesucht. Je weiter die Bilder inhaltlich auseinander liegen, desto mehr muß das Gehirn die Informationslücke zwischen den Bildern aus der eigenen Fantasie füllen. Man wird an der Geschichte beteiligt. Das ist die ganze Magie des Comics und macht ihn so faszinierend.“
Jetzt bin ich zunächst einmal von dieser Erläuterung fasziniert. Man merkt: Die Zeichnerin hat auch schon Poetik-Vorlesungen gehalten. Aber ich bleibe im Grunde ein Fall für Fließtext.
Um aber nun auf meine Anfangs-Frage zurück zu kommen – „Konrad, was machen wir denn da?“ – lautet meine Antwort: Wir lassen das mal alles hier so stehen. Möge es sich im Kopf des Lesers zu einem ganzen zusammen fügen! Was bei mir übrigens alles zusammenhält, das ist deine Stimme. Deine Vorlese-Stimme mit dem sehr, sehr Hamburgischen Zungenschlag. Das liegt sicher daran, daß ich dir schon einigermaßen oft zugehört habe, wenn du als nimmermüdes Zirkuspferd deine eigene Geschichte mal hier mal da, mal kurz mal lang, in Kneipe, Kirche oder Kulturhaus vorgetragen hast.
So gesehen ist mein „Rohrkrepierer“ - also dein Roman, der hier liegt – für mich eigentlich ein Hörbuch.

Konrad Lorenz - „Rohrkrepierer“ - Roman , Edition Temmen, 2015, 384 Seiten,
Broschur, € 12,99
Konrad Lorenz, „Der Dwarsläufer“ Roman, Edition Temmen 2013,  456 Seiten,
Broschur, € 12,90
Isabel Kreitz, „Rohrkrepierer“ Graphic Novel nach Roman von Konrad Lorenz, Carlsen 2015, 300 Seiten, Hardcover, 26,99 €


Konrad Lorenz - Foto © Asmus Henkel
 
Redaktion: Frank Becker