Bestsellerfressen

„Die 5 Tibeter“ von Peter Kelder

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Liegestützen für das Volk
 
„Die 5 Tibeter“
von Peter Kelder
 
Liebe Leser!
Frau Noelle-Neumann aus Allensbach, seit 1936 stramm unterwegs im Dienste der Volksweisheit, hat herausgefunden: 50% aller Deutschen glauben an „außerirdische Wesen“, 66% fürchten einen „schädlichen Einfluß von Erdstrahlen auf ihren Schlaf“, und 95% halten „Flüchtlinge für Eindringlinge“. Die Zahlen beweisen, daß man in Deutschland mit Waldmeisterpudding in Hirnschale doch ein relativ gesundes und unauf­fälliges Leben führen kann.
Weit über 1 Million von solchen ganz normalen Deutschen haben sich in den letzten acht Jahren ein Buch gekauft - ein Büchilein mit dem Titel „Die 5 Tibeter“ oder „Wie man mit bisschen Quatsch un' Tinnef in ca. 10 Wochen 30 Jahre jünger werden kann“.
Und ich muß zugeben: „Die 5 Tibeter“ sind in der Tat „phantastisch“, um nicht zu sagen „sehr phantastisch“. Es gibt weder diesen Autor namens Peter Kelder, noch gibt es diesen sog. „Colonel Bradford“, der im Buch als Identifikationseumel durch 100.000 exotische Ländereien brettert, 50 verschiedene Sprachen auswendig hersagen kann und überall ungefragt seinen Senf reinspritzt, bis er dann bei irgendwelchen vegeta­rischen Lamas grundlos ins Gras beißt, nicht ohne vorher dem auch im Verlag völlig unbekannten Autor Peter Kelder einige Seiten horrenden Oberstuß in die Maschine gehauen zu haben.
In den „5 Tibetern“ gibt es keine Logik und es gibt keinen Sinn. Es gibt keine einzige nachprüfbare Geschichte und keine Weisheit, die nicht schon die alten Binsen kannten. Was es gibt, sind haufenweise Sätze von folgendem Debakel-Kaliber:
„In dem Kloster im Himalaja war ein Mann, bei dem Sie geschworen hätten, daß er nicht über 35 sei, und er handelte wie ein Mann von 25. In Wirklichkeit war er über 100 Jahre alt. Wenn ich Ihnen verraten würde, wie viel über 100, würden Sie es mir nicht glauben.“
Was es allerdings wohl gibt, - ob Sie's glauben wollen oder nicht, liebe Leser, - das sind „die 5 Tibeter“! Jaja! Das ist nämlich die banale Um­schreibung für 5 lustige Leibesübungen, als da wären: Drehen um die eigne Achse bis kurz vorm Kotzen, Brücke, Kerze, Hinlegen & Stramm­stehen - all die guten Dinge, mit denen man früher im Sportunterricht ge­piesackt wurde von einem Lehrer, bei dem die Entnazifizierung ordent­lich mißglückt war. Und da der „Integral-Verlag“ seinen Bestsellerautor wohl bis heut nicht ausfindig machen konnte, gibt's in der „Hausmitteilung“ vorsorglich noch den Satz:
„Eine Haftung für etwaige Personen-, Sach- oder Vermögens­schäden ist insofern ausgeschlossen.“

Es steht ja nun jedem frei, sich über sinnsuchende religiöse Turnvereine tiefe Gedanken zu machen oder einfach totzulachen. Man könnte sich auch ein Anti-Mantra ausdenken, um diese Vögel wieder in christliche Kirchen zurückzuommen. Doch der ganze Spökes hat auch seine guten Seiten, wie das bei Spökes eben oft so ist. Er beweist nämlich, daß der Amerikaner Daniel Goldhagen mit seinen „Willigen Vollstreckern“ ja wohl etwas daneben getippt hat. Denn der hatte gegen Ende seines ansonsten sehr lesenswerten Monsterbuches über die Deutschen behauptet, seit '45 wären sie doch wirklich vollkommen anders drauf.
Und was diese urigen Lamas betrifft, halt ich es eher mit Jesus Christus, der da sprach: „Lama, du kannst gehen!“

Jan. 1998