Begegnungen

Hartmut Lange – „Der Blick aus dem Fenster“

von Frank Becker

Man sollte die Toten nicht unterschätzen
 
In Hartmut Langes jüngster, soeben bei Diogenes erschienener Sammlung von Erzählungen geht es um Begegnungen – für die Personen in den Erzählungen wie für die Leser. Und es geht in faszinierender Weise um Blicke aus Fenstern, Wege durch Städte und um das Numinose, immer wieder und in einer Intensität, die es für den einen oder anderen Wimpernschlag schafft, auch den skeptischen Leser in diese merkwürdige Zwischenwelt mitzunehmen, die Hartmut Lange in herrlich verschachtelten Formulierungen und unbestechlicher Logik konstruiert. Acht kurze, nichtsdestoweniger faszinierende Texte hat Hartmut Lange für die kleine Auswahl im Taschenformat zusammengestellt, Lesefutter für acht Busfahrten, acht Mittagspausen, acht Abende zwischen Tag und Traum.
 
Lange liebt das Spiel mit dem Unwirklichen, das uns an Grenzen des Verstehens führt – und doch irgendwie real und glaubhaft aussieht. Er genießt das Spiel mit Schattenbildern, noch nicht ausgeleuchteten Winkeln der großen Städte und der Seelen seiner Figuren. Ob es der Ministerialbeamte Giselher Reinhardt ist, dem ein Gemälde von Gustave Caillebotte zum Mahr wird, ob Eva Braun in ihren letzten Stunden im Bunker der Reichskanzlei, ein Ich-Erzähler, der im Baustellengewirr der Hauptstadt Rahel Varnhagen (ja, sie ist es fraglos wirklich!) begegnet oder die von Zweifeln und Kummer zerrissene Altistin Treja Sandberg, die an Mahlers „Lied von der Erde“ zu scheitern droht – Hartmut Lange fesselt derart, daß man seine Erzählungen wie dringend notwendige Nahrung aufnimmt. Eine Empfehlung der Musenblätter.
 
Hartmut Lange – „Der Blick aus dem Fenster“
Erzählungen
© 2015 Diogenes Verlag, 104 Seiten, gebunden, Ganzleinen - ISBN 978-3-257-06953-2
19,- € (D)  / 19,60 € (A)  / sFr 26,-
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch