Ein Totentanz

Romeo und Julia

von Frank Becker

Foto © Laszlo Szito
Ein Totentanz
 
Robert Sturm wird mit seiner Inszenierung
von „Romeo und Julia“ Shakespeare gerecht
 
Regie: Robert Sturm – Übersetzung: Frank-Patrick Steckel – Raum: Tony Cragg – Musik: Wolfgang Schmidtke, Matthias Burkert, Werner Dickel – Kostüme: Julia Warndorf – Bewegung: Jean Laurent Sasportes – Licht: Fredy Deisenroth
Besetzung: Bernhard Glose (Romeo) – Luise Kinner (Julia) – Stephan Ulrich (Fürst Escalus) – Jost Grix (Capulet) – Julia Wolff (Lady Capulet) – Jörg Reimers (Montague) – Gunda Gottschalk (Lady Mantague, Violine) – Maximilian Strestik (Graf Paris) – Moritz Heidelbach (Tybalt) – Andreas Potulski (Mercutio) – Konstantin Shklyar (Benvolio) – Ingeborg Wolff (Amme) – Hans Richter (Mönch) – Helena Pikon, Morena Nascimento (Sie) – Matthias Burkert (Er) – Schönberg-Ensemble der Musikhochschule Wuppertal

Spieldauer: 130 Minuten, keine Pause – Bänke ohne Rücklehnen
 
Wer braucht schon blanke Degen, wenn die Worte blitzen – und wer aufwendiges Kostüm-Theater, wo Farbnuancen genügen. Ein Balkon mit Rosenranken ist – so zeigt die aktuelle Inszenierung von William Shakespeares „Romeo und Julia“ in Wuppertal - ebenso wenig nötig wie Dolch und Phiole.
Die von Robert Sturm nach der brillanten Neu-Übersetzung von Frank-Patrick Steckel in einer beispielhaften Raumgestaltung des Bildhauers Tony Cragg mit einem brillanten Ensemble für die Wuppertaler Bühnen erarbeitete Fassung kann sich sehen lassen. Der Spielort – heutzutage für Theaterprojekte nicht mehr ungewöhnlich – ist eine Werkshalle der Riedel Communications, eine Bühne, wie sie dem Publikum dieser Stadt seit der Schließung des Schauspielhauses und trotz der Minimal-Lösung mit dem kleinen „Theater am Engelsgarten“ bitter gefehlt hat. Im Halbrund mit steil aufsteigenden Sitzreihen als Annäherung an das Shakespeare´sche Globe bietet sich dem Auge des Besuchers eine optimal genutzte Halle V mit dem ästhetischen Bühnenbild, deutlich von der Hand des in Wuppertal ansässigen Bildhauers Tony Cragg, eines Formgestalters von Weltrang. Spielfläche ist der gesamte Raum auf verschiedenen Ebenen, bei denen u.a. ein Mauervorsprung den berühmten Balkon ersetzt. Es kann auch auf zwei Flächen zugleich gespielt werden, indem auf der einen die Handlung „eingefroren“ wird, während der Blick auf die lebendige Szene wechselt.
 
Jegliche Ausstattung fehlt – und fehlt doch nicht. Gesten deuten Dinge an, Worte, ein hingeworfenes Stück Eisen ersetzen turbulenten Kampf – das Ergebnis bleibt sich durch die gelungene Dramaturgie und ideal umgesetzte Dramatik gleich. Haß, Trauer, Auseinandersetzung, Tod, Liebe, Hilflosigkeit brauchen nichts weiter als gute Schauspieler unter sensibler Führung. Genau das bekommt Sturms Inszenierung durch das Wiedersehen mit grandiosen Wuppertaler „Alt-Stars“ der Bühne wie Ingeborg Wolff als Amme, Hans Richter als Mönch Lorenz und Jörg Reimers als Montague. Man trifft auf namhafte Gäste z.T. aus Bochum wie Jost Grix als Capulet, Stephan Ullrich als Escalus und Helana Pikon als „Sie“, sowie auf hoffnungsvolle junge Darsteller wie eben Luise Kinner als Julia und Bernhard Glose als Romeo. Die Inszenierung verbindet solides Schauspiel mit nicht immer schlüssigen Elementen des modernen Tanztheaters, mit kongenialer Musik und harmonischer Raumgestaltung.

Die den Besucher authentisch anspringende Stimmung ist wesentlich der Musik von Wolfgang Schmidtke zu verdanken, die mit Hilfe von Werner Dickel und Matthias Burkert (der gelegentlich mit Schlaghölzern als Memento und mit einem Vorschlaghammer als expressionistischer Zombie durch die Szene geistert) dank des Schönberg-Ensembles lebendie Bilder entstehen läßt. Da braucht man nicht einmal die Augen zu schließen, um trotz der schlichten Kostüme (Julia Warndorf) eine farbenprächtige mittelalterliche Szene zu sehen. Wer allerdings in Block C über dem Schlagwerk sitzt, gerät in den Kampfszenen an den Rand des Hörsturzes. Dafür aber hat man von dort den besten Blick auf die Liebenden im zarten Ringen um die Wahrheit – und eine gute akustische Verbindung. An der nämlich, der Raumakustik, scheitert gelegentlich das Textverständnis, weil einige Stimmen nicht 20 Meter weit tragen oder quasi verschwinden, wenn der Sprecher zwangsläufig einem Teil des Publikums den Rücken zuwenden muß. Das ist auch deshalb schade, weil die Übersetzung von Frank-Patrick Steckel das alte Versmaß genüßlich zerschlägt und Schlegel/Tieck originell Paroli bietet. Unsere Protagonisten Luise Kinner, die eine zarte, dennoch selbstbewußte, ja kesse Julia gibt und Bernhard Glose, dessen Romeo von ungezähmter jugendlicher Frische ist, profitieren davon wie auch z.B. die von Ingeborg Wolff charakterstark und mit Witz gegebene Amme. Jost Grix´ Capulet überzeugte ebenso wie der souveräne Stephan Ullrich als Fürst Escalus. Der in Wuppertal unvergessene Jörg Reimers kam in seiner zusammengestrichenen Rolle als Montague etwas zu kurz, und Hans Richter war so weit weg, daß nur Block A genügend von seiner gewiß pfiffig angelegten Rolle als Mönch (man hörte die Lacher) mitbekam
 
Robert Sturm inszeniert ohne übertriebenes Pathos sein „Romeo und Julia“, unerbittlich unromantisch mit klarem Blick auf die Realitäten, ein Drama über menschliche Dummheit, falschen Stolz, emotionale Gewalt, Haß und alttestamentarische Rache. Er macht einen Totentanz daraus, läßt die von frevelnder Hand niedergestreckten und an Gram umgekommenen Figuren nicht verschwinden, sondern von zwei Nornen (Helena Pikon, Morena Nascimento) zeichnen und an den Rand begleiten. Der finale Abgang der dramatis personae nach einem grandiosen, berührenden Schlußbild der toten Liebenden gestaltet sich hoch dramatisch wie ein lärmend klagender alemannischer Fasnetszug, ein düsterer Narrensprung, während das Licht (Fredy Deisenroth) drei Cragg´sche Stelen als ebensolche Masken ausleuchtet.


Im Tode in Liebe umschlungen - Foto © Laszlo Szito

Robert Sturms „Romeo und Julia“ eröffnet die Wuppertaler Theater-Saison dank großzügiger Unterstützung aus der Wirtschaft, voran Riedel Communications, mit einem vom dankbaren Publikum trotz schmerzendem Rücken stürmisch gefeierten künstlerischen Paukenschlag.
 
Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de