Ein Abend von ungeheurer Wucht

Gilla Cremer spielt „Die Kommandeuse“

von Frank Becker

Gilla Cremer in „Die Kommandeuse“ - Foto: Theater Unikate
Spieglein, Spieglein...

Gilla Cremer spielt „Die Kommandeuse“
 Ein Abend von ungeheurer Wucht
 
Gilla Cremers Stück über die fürchterliche Ilse Koch, Ehefrau des berüchtigten SS-Standartenführers Karl Otto Koch, der als Kommandant des Konzentrationslager Buchenwald eines der unrühmlichsten Kapitel der deutschen Geschichte mitschrieb, geht ans Gemüt. Gilla Cremer entblößt die „Hexe von Buchenwald“ von jeder Mitläufer-Lüge, stülpt sich mit unfaßbarer Selbstentäußerung diese bösartige, grausame, gemeine und ja, dumme Frau über. Seit 20 Jahren spielt sie das Psychogramm einer Täterin, einer arroganten Verbrecherin, die in der Haft schwülstige Gedichte schreibt und nie auch nur irgendetwas bereut hat. Damit nötigt sie dem Zuschauer, der zum Zeugen wird - wie auch mit anderen Produktionen ähnlich hoher Qualität aus ihrer Feder – tiefsten Respekt ab. Das Remscheider Teo Otto Theater hat vorgestern seine Spielzeit mit diesem Meisterstück für eine Darstellerin eröffnet.
 
Ilse Koch gehörte, von mittlerer Intelligenz und Bildung, zu genau der erstaunlich großen Schicht von Bürgern des Deutschen Reichs, aus der Adolf Hitler seinen mittleren Machtapparat rekrutierte. Erfüllt von romantisierendem Germanentum, falschem Pathos und dem Kitsch angeblicher deutscher Kultur, opportunistisch und überheblich („Man muß verstehen, mit seiner Zeit zu gehen.“), kalt im Bewußtsein der eigenen scheinbar unangreifbaren Macht ließen diese Kreaturen jede Maske, jede Menschlichkeit fallen, zeigten das häßliche Gesicht der absoluten Gewalt. Macht und Gewalt auch in der Herrschaft über Leben und Tod wie hier im „Vorhof des Todes“, Buchenwald. Es waren übrigens ganz ähnliche soziale und intellektuelle Hintergründe, wie man sie heute bei den Schlächtern des IS beobachten kann, die wie die Nationalsozialisten in ihrer grenzenlosen Verblendung und Rücksichtslosigkeit nach der Weltherrschaft greifen möchten.
 
Wer aber war diese Frau, die mit ihrem Mann in einer Prachtvilla gleich neben dem von ihm (und ihr) regierten KZ lebte, rauschende Gesellschaften gab, den Massenmörder Heinrich Himmler, einen hochgekommenen Kleinbürger wie sie selbst, empfing und hofierte, die sich mit Goethe verglich und Johann Peter Eckermann zitierte. Wer war diese Frau, die auf einem prächtigen Pferd durch das KZ ritt, unbedingten Respekt von den Gefangenen einforderte, allein aufgrund eines Blickes für grausame Bestrafungen sorgte und solchen beiwohnte, die Reitgerte gegen Menschen hob und einsetzte und die, so heißt es, aus der Haut von getöteten Häftlingen Lampenschirme anfertigen ließ sowie ein rein goldenes Schachspiel aus dem Zahngold von ermordeten Lager-Insassen besaß. Wer war diese Frau, die in ihrem Privatzoo neben dem KZ die Tiere mit erlesenen Speisen fütterte, während in Sichtweite Menschen Hungers starben, die inmitten des Konzentrationslagers die „Goethe-Eiche“ verehrte? Die von ihr aufgemachte Gewinnrechnung pro umgebrachtem Gefangenen in Buchenwald läßt Tränen aufsteigen.
 
Gilla Cremer vermittelt ein beinahe mit den Händen zu greifendes Bild dieser eiskalten, entsetzlichen Frau, eines kleinbürgerlichen Parvenu, die 1944 sogar vor einem NS-Gericht stand, aber von diversen Anklagen freigesprochen wurde, für die ihr Mann in „seinem“ KZ erschossen wurde. Für ihre unglaubliche Terror-Herrschaft in Buchenwald wurde die „Kommandeuse“ nach 1945 in mehreren Prozessen vor US- und deutschen Gerichten zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein Blick in den Spiegel hat sie wohl nie getan. Erst 1967 erhängte sich Ilse Koch in ihrer Zelle.
 
Wer hier nicht nach 90 Minuten erschüttert den Saal verläßt, hat nichts verstanden oder einfach kein Herz. Das Publikum dieses Abends hatte verstanden, wie die lange Stille nach dem Vorhang und der noch längere anerkennende Applaus danach bewiesen.
 
Weitere Informationen:  www.gillacremer.de