E-Postkarte aus Indien - 26.08.15

Als Arzt für 6 Wochen mit German Doctors in Kalkutta (3)

von Johannes Vesper

Diesem Kind mit einer schweren Rachitis kann durch
Vitamin D und Kalizum gut geholfen werden
Foto © Johannes Vesper
Als Arzt für 6 Wochen mit German Doctors
in
den Slums von Kalkutta (3)

Die Ärzte von German Doctors helfen dort,
wo Hilfe am meisten benötigt wird.
 
Am Wochenende findet keine Sprechstunde statt, so besuche ich mit Raimund und Waltraud, die zum 14. Mal hier bei den German Doctors arbeiten, das Mutterhaus des Ordens der Nächstenliebe. Mutter Theresa hat ihn vor 65 Jahren gegründet. Sie kam ja als junge Schwester des Loreto-Ordens aus Albanien über Irland nach Indien und widmete sich hier in Kalkutta seit 1948 den Ärmsten der Armen. Das Armutsproblem ist in Indien tatsächlich gewaltig. Das sehen wir nicht nur in unseren Ambulanzen bei der täglichen Arbeit. Das spiegelt sich auch in folgende Zahlen wieder. Mit seinem Human Development Index liegt Indien auf Platz 135 im Nationenvergleich. Bei der Beurteilung nach den Kriterien des HDI spielen nicht nur Wirtschaftsdaten sondern auch Gesundheits- und Bildungsdaten eine Rolle. Die Hälfte aller ca. 1,3 Milliarden Inder defäkiert öffentlich, weil kein Zugang zu einer Toilette besteht, und die Armutsgrenze wurde für städtische Gebiete auf 32 Rupien pro Mensch und Tag festgelegt, für ländliche auf 26. Das entspricht knapp 50/40 Cent. Damit ist kein menschenwürdiges Leben möglich und Mutter Theresa wurde zu Recht gerade in Indien für die Ärmsten der Armen aktiv.
 
Im Innenhof des Mutterhauses – ein mehrstöckiger Gebäudekomplex an der Bose-Road - gibt es einige Wasserbecken, aus denen die Schwestern zum Waschen ihrer Kleidung mit einem Zinkeimer Wasser schöpfen. In der kleinen Totenkapelle ist Mutter Teresa unter einer großen weißen Marmorplatte begraben. Eine Ausstellung im benachbarten Raum informiert über Leben, Werk und Ehrung der inzwischen Heiligen. Das Zimmer von Mutter Teresa liegt im 1. Stock über der Küche des Ordenshauses, weswegen es dort immer besonders heiß gewesen sei, heißt es, und sie habe nie einen Ventilator benutzt. Persönliche Askese gehörte zur ihrer Grundeinstellung. Ihre Aktivitäten sind ein Lichtblick in der boomenden indischen Wirtschaft, von deren Reichtum der größere Teil der indischen Bevölkerung nichts hat. Schwester Prema, die derzeitige Oberin des Ordens der Nächstenliebe erzählt uns vor der Kapelle – unser Gespräch hatte sich zufällig ergeben -, daß aktuell pro Jahr ca. 60 junge Frauen in den Orden aufgenommen werden wollen und daß nicht mehr alle Novizinnen einen Teil ihrer Vorbereitungszeit in Kalkutta verbringen. Warum es in Indien nicht gelingt, den wirtschaftlichen Erfolg des Landes - dieser Tage wurden aus Indien 240 Airbusse bestellt - unter allen Indern so aufzuteilen, daß für einen größeren Teil der Bevölkerung einigermaßen erträgliche Lebensverhältnisse resultieren, weiß Schwester Prema auch nicht.


Kalkutta Zentrum von Der Howrah-Brücke aus - Foto © Johannes Vesper


Kinderheim des Ordens der Nächstenliebe in Kalkutta - Foto © Johannes Vesper
 
Wir besuchen auch noch das Kinderheim des Ordens, wenige Schritte entfernt. Ca. 35 schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche werden dort mit Hilfe von Freiwilligen aus der ganzen Welt gepflegt. Auf einer weiteren Station sind kleine Waisenkinder untergebracht, die auf eine Adoption warten. Das ganze Haus bereitet sich auf die Feierlichkeiten zum 65-jährigen Jubiläum des Ordens in der nächsten Woche vor, sodaß die alte Schwester Andrea, auch aus Deutschland, nur wenig Zeit für uns hat, uns aber einlädt, wiederzukommen. Das BIP in Indien ist pro Kopf doppelt so hoch wie in Bangladesch, Lebenserwartung und Kindersterblichkeit dort aber höher bzw. niedriger als in Indien. Nicht der Wohlstand der indischen Reichen - vier der zehn reichsten Männer der Welt kommen aus Indien - sei der Skandal, sondern daß es an Essen, Unterkunft Kleidung, Sanitäreinrichtungen, Gesundheitsversorgung und Schulen für die Kinder fehle, schreibt Amartya Kumar Sen, der indische Nobelpreisträger für Ökonomie. Mit der in Indien herrschenden, global entfesselten Marktmanie und Ökonomie ist dem Land sicher nicht zu helfen. Mutter Teresa hat ein Zeichen gesetzt und auch wir können in den Slums nur Einzelnen helfen. Immerhin.


Diese Sondereinheit der Polizei in Kalkutta kann Indien auch nicht helfen - Foto © Johannes Vesper
 
Herzliche Grüße
Ihr
Johannes Vesper