Der Spott der kleinen Dinge

Opern aus Seife

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Opern aus Seife
 
Neulich war ich krank. Kranksein ist ein traditionshöriger Ausnahmezustand. Als krankes Kind muß man nicht zur Schule, darf essen, was man will, und den ganzen Tag im Bett fernsehen. Ich habe nur ferngesehen. Man ist schließlich kein Kind mehr.
    Beim Krankenfernsehen habe ich das erste Mal Seifenopern gesehen. Seifenopern werden unterschätzt, meiner Meinung nach sind sie anspruchsvoll und nicht leicht zu verstehen. Es kann aber auch daran gelegen haben, daß ich jeden Tag sechs zu mir nahm.
    Mein Seifenoperndebüt gab ich bei einer Körpertemperatur von 38,8. Es war eine Sendung, in der Olivia endlich eine Chance sah, Sebastian zu verführen. Dann kam eine, bei der Clemens und Inge sich gegenseitig bei der Partnersuche halfen.
    Als ich später mit einem Kamillentee aus der Küche kam, stand Axel extrem unter Druck, weil er einen neuen Kreditgeber finden mußte. Schlimm, daß er Maximilian in die Falle ging. Als der Tee alle war, wollte Philip Lucy unter einem Chat-Pseudonym die Meinung über Dominik geigen. Nachdem Alexander auf Lennys Rücken seltsame blaue Flecke entdeckt hatte, waren alle Opern des Tages aus.
    Ich wollte schlafen, aber es ging nicht. Die Suggestionskunst der Seifenopernpoesie hielt mich wach. Ihre sperrigen Ränke und immerzu gefährdeten Herzensbande raubten mir den Schlaf. Außerdem fand ich, daß Olivia viel besser zu Dominik gepaßt hätte, doch er lebte in einem anderen Sender.
    Am Morgen war das Fieber besser, aber gut ging es mir nicht – auch wegen Clemens und Inge.
Nachmittags mußte ich mit ansehen, wie Nathalie auf Tanjas heuchlerisches Friedensangebot hereinfiel. Und als Yasemin abweisend auf Rauls Drängen reagierte, mischte sich Kerstin ein. Ausgerechnet die! Meine Frau brachte mir eine Wärmeflasche; Deniz, der einen Escortservice betreibt, landete mit einer Kundin im Bett. Als die Flasche nicht mehr warm war, band Verena Leon auf die Nase, daß Anna eine Prostituierte ist. Ich bin nicht sicher, aber ich meine, das war noch vor Stefanos Sterilisation.
    Anderntags war ich wieder gesund. Ich nahm einen Tag Urlaub, hauptsächlich wegen Lucy und Tanja. Meine Frau habe ich kleinlaut um eine warme Decke gebeten.
 
 
© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.