Politisch korrekt ins neue Jahr

Anekdoten

aufgezeichnet von Hermann Schulz

Hermann Schulz - Foto © Frank Becker

Unfreiwillige Selbsttore


1.

Ich besuchte die Tagung einer evangelischen Akademie zum Thema Rassismus. Die Referenten und Teilnehmer waren sich natürlich einig darin, dass Rassismus rundweg schlecht und abzulehnen sei. Sonst hätten sie eine solche Tagung auch nicht besucht.
Nach vielen klugen Vorträgen kam die beliebte ‚Aussprache‘. Wie so oft waren die deutschen Teilnehmer zerknirscht, weil einige Ausländer ihnen den rassistischen Spiegel vorhielten. Zu Recht vermutlich! Da meldete sich eine Chilenin zu Wort:
„Daß die Deutschen alle Rassisten sind, merkt man ja schon daran, daß sie uns Latinos und auch die Asiaten mit den Negern in einen Topf werfen.“
Peinliches Schweigen, ich konnte mir das Lachen kaum verbeißen.


2.

In der Pause bei einer Skatrunde erzählte ich von einem eindrücklichen, für mich einmaligen Erlebnis mit diesem Kartenspiel.
„Ich war vor ein paar Jahren in einer Kneipe am Victoriasee und spielte mit Freunden Skat. Was da passierte, habe ich nie wieder lebt. Stellt euch vor: Nach zwei Stunden hatte ich fast alle Spiele gemacht – und gewonnen. Die Gegner hatten jeweils über 1000 Minuspunkte, ich gerade mal einhundert.“
Einer meiner Freunde guckte mich an: „Ja kein Wunder – mit Negern!“


3.

Auf dem Rathaus-Vorplatz in Wuppertal-Barmen fand in den 70er Jahren eine Lesung für Kinder statt. Hunderte waren, zum Teil mit ihren Eltern, gekommen. Auf einer kleinen Bühne saß die bekannte Schauspielerin Ursula von Reibnitz, neben sich einige Bücher, aus denen sie vortragen sollte.
Es war wunderbares Sommerwetter. Am Rande der Kinderschar hatten sich auch einige Penner niedergelassen, um zuzuhören. Nach jedem Vortrag gab es Applaus.
Ursula von Reibnitz griff nach einem neuen Buch aus dem Verlag Beltz &Gelberg. Der Text entsprach modernen Vorstellungen. Als an einer Stelle das Wort „scheißen“ vorkam, stand einer der Penner auf und unterbrach die Vorlesung:
„Sie sind ja eine Kinderverderberin! Wie können Sie einen Text vorlesen, in dem solche Wörter vorkommen! Das ist ja ungeheuerlich!“
Da meldete sich ein anderer Penner, zwei Meter entfernt, zu Wort:
„Halt doch die Fresse, du Scheißkerl. Lass die Frau doch lesen!“
„Was sagst du da?“, entgegnete der Mann, der so lautstark protestiert hatte. „Du alter Wichser, was verstehst du denn von Erziehung!?“
„Sowas wie dich sollte man verbieten! Wenn du noch lange hier herum quatschst, trete ich dir in die Eier. Hast du verstanden?“

Das war noch nicht das Ende. Der zuerst geredet hatte, glänzte mit den originellsten, aber kaum stubenreinen Ausdrücken. Es folgten wahre Kaskaden, bevor die Schauspielerin fortfahren konnte.

Sie hatte sichtlich ihre Freude daran. Und ich bin sicher, die Kinder lernten eine Menge vom wahren Straßenleben in ihrer Stadt.


© Herman Schulz - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007