Ganz ruhig bleiben

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Paul Maaßen
Ganz ruhig bleiben

Ich sag ja immer
Gerade in letzter Zeit sag ich immer
Du mußt ganz ruhig bleiben
Ganz ruhig
Sich nicht über alles aufregen
Sondern vieles regelt sich ja von selbst
Du mußt dir einfach mal mehr Zeit lassen
Langsamer sprechen und langsamer gehen
Man muß ja nicht überall dabeisein
Und oft kommt man sowieso zu spät
Oder es war nicht so wichtig
Alles hat seine Zeit
Heißt es ja schon in der Bibel
Gut man halt das nicht immer durch
Aber manchmal
Ob Sie es glauben oder nicht
Da laß ich alles stehen und liegen
Nach mir die Sintflut
Und setze mich einfach irgendwohin
Egal wo .
In ein Cafe oder wenn es draußen schön ist
In einen Park und ruhe mich ein bißchen aus
Und dann gehe ich wieder ein Stück
Und dann setze ich mich wieder hin
Zum Beispiel
Wenn ich auf einer Messe bin
Ist ganz egal welche
Buchmesse oder Art Cologne oder auch
Nahrungsmittel
Und Gaststätten oder Photokina
Da muß ich mich nach zehn Minuten auch
Gleich hinsetzen
Ich halte den Trubel nicht mehr aus
Die sogenannte Hektik
Obwohl man sich ja bei der Kunst und beim Essen
Zeit lassen soll
Nix
Der Mensch hastet von einem Stand zum anderen
Daß er seine Prospekte nicht noch aufißt
Das ist alles
Ich sag mir dann immer
Laß dich nicht anstecken
Komm bleibe ganz ruhig
Was du heute nicht schaffen kannst
Schaffst du morgen
Und wenn du es morgen nicht schaffst
Schafft es ein anderer
Es ist noch so viel zu erledigen
Da kommt es auf einen Tag auch nicht an
Der liebe Gott hat sieben Tage gebraucht
Und hat sich auch zwischendurch
Hat Er mir neulich noch gesagt
Ein paarmal hingesetzt
Einfach weil
Hat Er gesagt
Die Weltgeschichte ist so groß und so lang
Daß es auf einen Tag nicht ankommt
Hat Er gesagt
Du kannst ruhig mal zwischendurch ein
Bißchen auf der Bank
Dich ausruhen
Hat Er wirklich gesagt
Das fällt gar nicht ins Gewicht
Und das hat mich richtig leicht gemacht
Als Er das gesagt hat
Wenn ich also jetzt mal mit meiner Frau
Einkaufen gehe
Und sie probiert ein Kleid an
Setze ich mich auch gleich neben die Ankleidekabine
Und ruhe mich aus
Denn so große Kaufhäuser
Wie heißen die alle
Buschkötter & Seidelbast oder nur so
Abkürzungen wie
H & B oder H & F das heißt Hand und Fuß
Also so große Kaufhäuser die machen mich
Auch ramdösig
Da werde ich krank
Auf der Stelle
Da muß ich mich sowieso schon nach zehn Minuten
Hinsetzen
Das Gelaufe und Geschiebe und Gedränge
Und Gerenne
Das macht einen doch nur noch nervöser
Nein sag ich mir dann immer
Nicht mit mir
Bleibe ganz ruhig und tu so als wüßtest du
Von gar nix
Philosophisch
Wenn Sie wissen was ich meine
Und genau in dem Augenblick kommt meine Frau
Mit dem neuen Kleid aus der Kabine und sagt
Gefällt dir das?
Ich erhebe mich und sage: ja sehr schön
Es gefällt dir also nicht
Sagt sie dann und verschwindet wieder in der Kabine
Und dann setze ich mich wieder hin und sage mir
Ganz ruhig bleiben
H & F machen erst um 18.30 Uhr zu
Die Zeit arbeitet für dich
Wichtig ist dabei für mich daß überall ein Stuhl
Oder eine Bank steht wo ich mich niederlassen kann
Man sagt ja auch Niederlassungen
Und so tun kann als wäre ich gar nicht vorhanden
Philosophisch
Sie verstehen.
 


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Wir sehen uns wieder" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte freundlicherweise Paul Maaßen zur Verfügung