Die Ostsee, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff

Eine Ausstellung im Pommerschen Landesmuseum

von Jürgen Koller

Max Pechstein, Haus mit Kornhocken und Mühle,
1923 © Pechstein -Hamburg/Tökendorf
Die Ostsee, Max Pechstein
und Karl Schmidt-Rottluff
 
Kurische Nehrung und Hinterpommerns Küste –
Sehnsuchtslandschaften zweier Maler
 
Vom Rheinland bzw. vom Bergischen ins mecklenburgisch-pommersche Greifswald hoch oben im Nordosten der Republik ist es schon ein gutes Stück Wegstrecke. Erbaulich wird die Reise, wenn man die Tour über die Backstein-Gotik-Route mit den Städten Wismar und Stralsund nimmt. Beide historischen Ortskerne gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Um es vorab zu sagen, die Reise ins hanseatische Greifswald, wo im Pommerschen Landesmuseum unter dem Titel „Zwei Männer – ein Meer / Pechstein und Schmidt-Rottluff an der Ostsee“ eine anspruchsvolle Schau an Gemälden, Aquarellen und grafischen Arbeiten der beiden Expressionisten präsentiert wird, hat sich gelohnt. Bemerkenswert frisch, kraftvoll und farbintensiv zeigen sich die Werke der beiden Sachsen mit den Sujets des „Baltischen Meeres“ – Pechstein war gebürtiger Zwickauer und Schmidt-Rottluff stammte aus Chemnitz-Rottluff. Der Betrachter spürt nichts von der geschichtsträchtigen zeitlichen Distanz von über einhundert Jahren seit dem Entstehen dieser Kunstwerke. Noch nie zuvor wurden die Arbeiten beider Maler in diesem maritimen Kontext zeitgleich gezeigt. Dem Pommerschen Landesmuseum unter Projektleiterin und Kuratorin Dr. Birte Frenssen ist es zu danken, daß in Kooperation mit dem Brückemuseum Berlin und der Max-Pechstein-Urheberrechtsgemeinschaft sowie vielen musealen und privaten Leihgebern 120 Gemälde, Grafiken und Künstlerpostkarten aus der Ostsee-Region , aber auch Privatfotos, geschossen von  Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluffs Ehefrau Emy, zusammengetragen wurden.
 
Schon vor seiner zwangsweisen Trennung von der Künstlergemeinschaft Brücke im Jahre 1912 ging der Individualist Max Pechstein eigene Wege. In den Jahren 1909, 1911/12 und 1919/20 erschloß er sich die Weite der Ostsee, die Wanderdünen und das Haff in Nidden auf der Kurischen Nehrung im fernen Ostpreußen. Er genoß das „weite Blau und (die) urweltliche Landschaft ermutigten … zu großen Formen; Licht und Atmosphäre ließen (die) Farben explodieren“ (Text zur Ausstellung). Über Nidden sagte Pechstein „Eine merkwürdige Gegend das!“. Obwohl er dort in bescheidensten, fast schon ärmlichsten Verhältnissen lebte, konstatierte er: „Endlich bin ich ganz frei.“
Pechstein steigerte sich bei seinen Aufenthalten auf der Kurischen Nehrung in einen regelrechten Schaffensrausch. Er malte, aquarellierte oder zeichnete mit Blei und Tusche – seine Sujets waren See-Stücke, dörfliche Häuser, Haff-Landschaften, Fischer und deren Boote, Bauern bei der Landarbeit, Aktdarstellungen und Menschen am Strand. Immer wieder faszinierte ihn das morgendliche oder abendliche Licht, die Wolkenbildung oder die stürmische See.
In dem Gemälde „Kurische Häuser“ von 1911 fand er zu einer wuchtigen expressiven Farbgestaltung in Blau, Rot, Grün und Gelb; Farben, die den Betrachter regelrecht 'anspringen'. Das wird noch durch eine grob gesetzte Struktur der Komposition gesteigert. Doch einige Jahre später, um 1920, wird der Umgang mit den Formen und den Farben differenzierter. Im Bild „Haus mit Kornhocken und Mühle“ ist ein vielschichtigerer Umgang mit dem Bildgegenstand nachzuweisen. Detailreicher werden Haus, Mühle und Korngarben gefaßt, Farbabstufungen lösen die reinen, ungebrochenen Komplementärfarben ab.


Max Pechstein, Die weiße Wolke, 1949 © Pechstein -Hamburg/Tökendorf

Als nach dem Versailler Vertrag Nidden zu Litauen fiel und für Pechstein versperrt war, entdeckte er das hinterpommersche Fischerstädtchen Leba für sich – vorn die See, dahinter die Strandseen. Vor dem trubeligen Strandleben floh Pechstein 1927 in das nahegelegene Dörfchen Rowe – die neu gefundene Abgeschiedenheit schätzte er mehr als daß das Fehlen von Strom und fließendem Wasser ihn störte. Bis in die Kriegsjahre hinein verbrachte Pechstein die warmen Monate in Hinterpommern. Er wurde von der vorrückenden Roten Armee überrollt und geriet in russische Gefangenschaft. Nach dem Krieg wollte der Maler nochmals an seine Ostsee-Erlebnisse anknüpfen. Nur einmal gelang es Pechstein noch an der See zu arbeiten – 1949 lebte er für einige Monate im Ostseebad Ückeritz auf Usedom. Eine schaffensreiche Zeit mit dreizehn Gemälden, 131 Zeichnungen und fast 140 Skizzen. Ein markantes Gemälde aus diesem Jahr ist das Bild „Die weiße Wolke“. Auffällig ist die Dominanz der leuchtend blauen Hütten-Dächer im Kontrast zum Weiß der Wolken und zum hellen Rot des Sandes und dem leuchtenden Grün des Baumes und der Sträucher. Mit diesem Meisterwerk fanden Max Pechsteins  Jahrzehnte künstlerischen Schaffens in seinen Sehnsuchtsorten an der Ostsee ihren Abschluß.
 
Für Karl Schmidt-Rottluff war die Auflösung der „Brücke“ keinesfalls mit einem künstlerischen Bruch verbunden – ganz im Gegenteil, als er sich einer Empfehlung Pechsteins folgend 1913 auch in Nidden auf der Kurischen Nehrung in einer Fischerhütte niederließ, fand er fernab jeglicher Zivilisation in einer neuen Landschaft vielfältige Anregungen für konzentriertes Schaffen. Die Gemälde der drei Monate in Nidden lassen sich in Landschaftsbilder der Nehrung und in Akte in den Dünen gliedern. Erstmalig behandelt Schmidt-Rottluff hier das Thema 'Akt in der Landschaft'. Im Gemälde „Akte in den Dünen“, 1913, werden die beiden Akte in seiner Sichtweite zu „kreatürlichen Wesen als Bestandteil der sie umgebenden Natur. Ausdruck und Form sind eins“ (Brückemuseum). Eine expressive Steigerung erfährt das Bild durch die konsequente Betonung des Komplementärkontrastes von Rot und Grün. Im Gegensatz zu Pechstein, der sich als Mitbegründer der Novembergruppe öffentlich zur Republik bekannte und das beispielsweise in seinem Plakatschaffen verdeutlichte, waren die zwanziger Jahre für den unpolitischen Künstler Schmidt-Rottluff Zeiten,  in seinem Werk neue Akzente zu setzen.


Karl Schmidt-Rottluff, Dünental mit totem Baum, 1937 © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Ab 1920 verbrachte er bis 1931 jährlich die Sommermonate im hinterpommerschen Jershöft, später dann von 1932 bis 1943 - solange es die Kriegssituation zuließ – in Rumbke am Lebasee, ein Dörfchen mit gerade mal sieben Häusen. Interessant ist, daß sich Schmidt-Rottluff in den Jershöfter Jahren erstmalig Landarbeitern, Fischern und Handwerkern zuwandte. Das Tun dieser Menschen hatte begonnen, ihn künstlerisch zu interessieren. Großzügige, auf Wesentliches reduzierte Formen bei intensiver Farbigkeit sind bestimmende Merkmale dieser Arbeiten. Hatte Schmidt-Rottluff mit Beginn der zwanziger Jahre in seinen Gemälden die aufgetragenen Farben ausgedünnt, um so eine 'leichtere' Farbflächigkeit zu erhalten - „Landschaft mit Windmühle und Leuchtturm“ (1920) -  findet er in den dreißiger Jahren in seinen Gemälden vom Lebasee wieder zu einer expressiven, markant leuchtenden Farbigkeit zurück. In „Dünental mit totem Baum“ (1937) wird das augenscheinlich. Das grell-giftige Blau-Violett des Vordergrunds steht konträr zum aggressiven Rosa des Himmels, verbunden durch das intensive Sandgelb der Düne – das alles tendiert schon zum Dekorativen hin. Übrigens ein Vorwurf, der gegen den späten Schmidt-Rottluff in dessen Malerei mehrfach erhoben wurde. Zu verweisen ist noch darauf, daß der durch die Nazis mit Mal- und Ausstellungsverbot belegte Künstler die Jahre am Lebasee genutzt hat, fernab der Reichshauptstadt viel zu aquarellieren und zu zeichnen. Für diese kleinformatigen Blätter gilt Ähnliches wie für Emil Noldes kleine Aquarelle – es sind die „ungemalten Bilder“. Obwohl Schmidt-Rottluff und Pechstein in nächster Umgebung von Leba lebten und arbeiteten, ist nicht belegt, ob sie sich dort je getroffen oder gar gesprochen haben - „sie gingen getrennte Wege, aber ihre Motive glichen sich: die Rhythmen der Arbeit, das Spiegeln der See, der Bergkegel des Revekol oder die Dünen, die den Wald überrollen.“
 
 
Zwei Männer - ein Meer / Pechstein und Schmidt-Rottluff an der Ostsee
noch bis 28.06.2015 

Karl Schmidt-Rottluff, Akte in den Dünen, 1913
© VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Pommersches Landesmuseum Greifswald
Rakower Straße 9 - 17489 Greifswald
 
Auskünfte: T. 03834 831 20
 
Öffnungszeiten:
Di – So 10 -18 Uhr, Do bis 21 Uhr
- Pfingstmontag10 -18 Uhr
Eintritt:
7 €, ermäßigt 5,50 €, Familienkarte 15 €
 
Katalog
Zwei Männer - ein Meer / Pechstein und Schmidt-Rottluff an der Ostsee
Hg.: Pommersches Landesmuseum Greifswald
156 Seiten, ca. 74 Abb. in Farbe - Erhältlich im Museumsshop
Preis: 24,90 €