Was einem gelben Cabrio widerfahren ist

Dörte Grimm | Felix Nussbaum | Frank Hoppmann – „Die Abenteuer von Pit und Peggs - Die Reise zur Blumenparade“

von André Poloczek

Was einem gelben Cabrio
widerfahren ist
 
Was macht ein Bilderbuch zu einem außergewöhnlichen Bilderbuch? Die Geschichte? Das Kinderbuch, um das es hier geht, hat gleich zwei außergewöhnliche Geschichten zu bieten. Die seiner Entstehung und die, die es erzählt. Die Entstehungsgeschichte der jetzt erschienenen „Abenteuer von Pit und Peggs“ beginnt vor 79 Jahren im Kopf des jüdischen Malers Felix Nussbaum.
 
Die Geschichte
 
Und sie beginnt als Drehbuch-Idee für einen Trickfilm. Nussbaum, 1936 schon im Exil vor den Nationalsozialisten, konzipiert gemeinsam mit seinem Freund Michael Loewen die „Stories of Pit and Peggs“, eine abenteuerliche Reise in einem gelben Cabriolet entlang der Côte d’Azur.
Die damals entstandenen farbigen Zeichnungen sind verschollen. Geblieben sind lediglich 29 Schwarzweiß-Fotografien; die – in einer Ausstellung im Felix-Nussbaum-Haus zu sehen – reichten dem Verleger Andreas Illmann, um seinerseits einen Traum zu entwickeln. Er wollte Felix Nussbaums Satz: „Wenn ich untergehe, laßt meine Bilder nicht sterben.“ auch für die wenig bekannten witzigen und phantasievollen Zeichnungen des Künstlers Wirklichkeit werden lassen.
In der Berliner Autorin und Dokumentarfilmerin Dörte Grimm fand Illmann jemanden, der die Geschichte zu den Bildern erzählt. Und der Münsteraner Maler und Grafiker Frank Hoppmann konnte für die Illustrationen gewonnen werden. Dazu sagt Frank Hoppmann: „Meine Aufgabe bestand darin, die kleinen verbliebenen, eher unscharfen, teils unvollständigen Schwarzweiß-Abfotografien von den verschollenen Originalbilder von Nussbaum neu umzusetzen, irgendwie so, daß der Charakter und der Geist der verschollenen Zeichnungen erhalten bleiben.“ Der Münsteraner, der vor allem durch seine scharfpointierten Porträtkarikaturen bekannt ist, zeigt hier einmal mehr seine grafische Könnerschaft. Für die richtige Farbgebung hat er sich mit Nussbaums malerischem Werk beschäftigt und die Linienführung und Komposition der Blätter erscheint tatsächlich als Neu- oder Wiederbelebung der Nussbaum-Grafiken.

 
Die Story
 
Ähnlich außergewöhnlich und wendungsreich, wie die Entstehungsgeschichte dieses Bilderbuchs ist auch die darin erzählte Geschichte. Das Geschwisterpaar Pit und Peggs erlebt, durch ein Erdbeben geweckt, einen reichlich turbulenten Tag. Von einem befreundetet Pärchen werden sie zu einer Spritztour in einem gelben Flitzer eingeladen, es soll nach Nizza zur Blumenparade gehen. Die Fahrt führt über die südfranzösischen Küstenstraßen und daß diese Spritztour so schnell erzählt ist, liegt an der Rasanz, mit der sich die Dinge für die Ausflügler ändern. Straßenbarrieren verschwinden ebenso schnell, wie sie auftauchten. Das Auto bekommt so unvermittelt Flügel, daß man es fast nicht mitbekommt und ebenso unerwartet ist das Auto die Flügel auch wieder los und hat sich zum „Blumobil“ gewandelt und gewinnt als solches im späteren Verlauf der Story natürlich den ersten Preis auf der Blumenparade. Zuvor kommen und gehen Roboter und Kolbenmänner-Armeen, Regen fällt von unten nach oben und eine Giraffe bekommt Zusatzpunkte. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich all diese wundersamen und in der realen Welt unmöglichen Dinge ereignen, verleihen der Bildergeschichte etwas traumhaft Surreales.
Wunderbar verrückt und tatsächlich an surrealistische Gemälde erinnernd zum Beispiel: In einem Bild, das die Fahrt der vier Freunde in dem Cabriolet an der Küstenstraße zeigt, tauchen als Nebenmotiv zwei Fische auf; die sitzen jeweils in einem Boot auf dem Meer und angeln – der eine davon pfeiferauchend. Die Angelschnüre reichen aber nicht ins Wasser, sondern in zwei am nahen Ufer stehende Henkelkrüge.
Solch herrlich verrückte Bilder entschädigen dafür, daß der Story die Geschlossenheit fehlt. Wie sollte sie die auch haben, angesichts der Tatsache, daß das Nussbaum-Material nur fragmentarisch zu Verfügung stand und die wenigen Bilder eher als Storyboard-Panels angelegt waren?
Dennoch ist „Die Abenteuer von Pit und Peggs – Die Reise zur Blumenparade“ ein richtig schönes und gewissenhaft gestaltetes Bilderbuch. Darin widmet sich auch eine kindgerecht geschriebene Schlußdoppelseite der Historie und den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern. Und tatsächlich kann das Buch einen Wunschtraum wecken, nämlich den, daß das Material die Grundlage für einen nach beinahe 80 Jahren realisierten Trickfilm wird.

 
Dörte Grimm | Felix Nussbaum | Frank Hoppmann – „Die Abenteuer von Pit und Peggs - Die Reise zur Blumenparade“
© 2015 Schaltzeit Verlag, 32 farbige Seiten, Hardcover 29,7 x 21,7 cm -  ISBN: 978-3-941362-66-6
16,80 €
 
Weitere Informationen:  schaltzeitverlag.de/