Venedig – eine literarische Zeitreise

Eine Ausstellung zum Buch von Jürgen K. Hultenreich und Angelika Fischer

von Joachim Klinger

Venedig – eine literarische Zeitreise
 
Schon wieder ein Venedig-Buch! – mag man sagen. Es gibt so viele Texte zu Venedig und Bildbände auch. Aber dieses Buch ist etwas ganz Besonderes, und es wird seinen Platz erobern.
Worum geht es bei der „literarischen Zeitreise”?
Nicht um eine Sammlung von Berichten, Eindrücken und Erlebnissen, die uns berühmte Venedig-Besucher hinterlassen haben. Wir wissen, daß viele Künstler in Venedig waren und ihre Sicht der Stadt festgehalten haben. Das reicht von Johann Joachim Winckelmann und J.W. von Goethe bis Franz Kafka und Else Lasker-Schüler.
 
In seiner Einführung „Die Wirklichkeit des Phantastischen” nähert sich der Autor Jürgen K. Hultenreich seinem Bild von Venedig, dieser Stadt des Unwirklichen, die „geglaubt sein will”, wie R. M. Rilke geschrieben hat (vgl. S. 139).
Eine Stadt auf dem Wasser, eine Stadt der Künste mit einer langen, ruhmreichen Geschichte, eine Hafenstadt mit großer Tradition, ein Touristen-Ziel mit internationalem Flair, eine Stadt, deren Untergang immer wieder beschworen und verdrängt wird – man weiß nicht alles aufzuzählen, was einem zu Venedig einfällt. Der österreichische Kabarettist Karl Farkas (1893–1971) hat einmal gesagt: „Venedig braucht keinen Bürgermeister, Venedig braucht einen Regisseur.”
Und in der Tat: die Paläste an den Kanälen wirken nicht selten wie Kulissen, die sanfte Fahrt mit den schwarzen Gondeln und das Singen der Gondolieri scheinen einer Opern-Aufführung zu entstammen, das Getriebe von der Ponte di Rialto zum Markus-Platz läßt an eine Inszenierung denken.
 
Aber zurück zu unserer Frage: Worum geht es in unserem Buch?
In fünfzehn Kapiteln erzählt der Autor von Persönlichkeiten, die Venedig erlebt haben. Jeder auf seine Weise, ein ganz persönliches Verhältnis zu der Lagunenstadt begründend.
Man könnte folgende Einteilung vornehmen:
Die in Venedig geborenen Persönlichkeiten wie Carlo Goldoni (1707–1793) und Giacomo Casanova (1725–1798), diejenigen, die Venedig auf lange Jahre verbunden, sozusagen verfallen waren wie Pietro Aretino (1492–1556) und Ezra Pound (1885–1972), diejenigen die Langzeit-Aufenthalte nahmen wie August von Platen (1796–1835), Lord George Byron (1788–1824), Friedrich Nietzsche (1844–1900), Rainer Maria Rilke (1875–1926), Ernest Hemingway (1899–1961) und Joseph Brodsky (1940–1996), diejenigen, die gelegentlich zu Besuch kamen wie Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Gerhart Hauptmann (1862–1946), Marcel Proust (1871–1922) und Hermann Hesse (1877–1962).
Das schafft zwar eine Übersicht, führt aber nicht tiefer in das individuelle Verhältnis zu Venedig.


Jürgen K. Hultenreich - Serenissima, Hafen (Tusche)
 
Nein, man muß den Lebenslauf der Einzelnen studieren und die geistig-seelische Verflechtung mit der Stadt kennenlernen. Die persönliche Situation begründet die emotionale Beziehung, das Erlebnis der Stadt Venedig wird Bestandteil des Denkens und Fühlens und findet Eingang in das Werk.
Dem Autor gelingt es auf beeindruckende Weise, den Prozeß der Anverwandlung darzustellen und ihn geradezu spannend zu gestalten. Er greift auf profundes Wissen zurück und präsentiert es stilsicher aufbereitet in einem lockeren Duktus, der den Leser gefangen nimmt.
Leidende scheint die Lagunenstadt besonders willig aufzunehmen. Liebschaften, die unglücklich verlaufen, Seelenschmerz und Schaffenskrisen vermag sie theatralisch aufzubereiten. Selbst moribund bietet sie der Melancholie, der trüben Weltsicht und der Todessehnsucht die passende Atmosphäre, man könnte auch sagen: Die Bühne mit gedämpftem Licht.
Am eindrucksvollsten deutlich wird das wohl bei Rainer Maria Rilke, aber auch eindringlich geschildert bei Marcel Proust und Gerhart Hauptmann.
Jedes einzelne Kapitel ist ein Meisterstück, das den Protagonisten im venezianischen Ambiente lebendig werden läßt. Das gilt auch für Künstler, die uns eher entrückt sind wie August Graf von Platen und Lord George Byron. Ernest Hemingway und Joseph Brodsky bekommen als Künstler und Menschen neue Facetten.
Das Buch ist im besten Sinne des Wortes lesenswert. Mich selbst hat das Kapitel über Ezra Pound besonders berührt. Eine sperrige und umstrittene Persönlichkeit, zeitlebens als Amerikaner an Italien gekettet, aber ein großer Dichter.
Die Fotografien von Angelika Fischer begleiten den Text in der aus den Publikationsreihen „Menschen und Orte” und „Wegmarken” bekannten und bewährten Weise. Ihre Bilder sind Annäherungsversuche, die in Dokumentation, Stimmung und Detail an die im Text erfaßten Persönlichkeiten heranführen. Eine vorzügliche Leistung!
 
Die Galerie der Moderne in Berlin-Lichterfelde, Hindenburgdamm 57C zeigt in ihren schönen Räumen unter dem Titel „Zeitreise Venedig” noch bis zum 30. Mai 2015 nicht nur die Fotografien von Angelika Fischer, sondern auch eine Reihe von kleinen farbigen Tuscharbeiten des Autors Jürgen K. Hultenreich. Die Bildchen weisen ihn als talentierten bildenden Künstler aus. Sie sind verdichtete Eindrücke aus der Lagunenstadt, die in ihren gelungensten Beispielen den inneren Glanz der Serenissima aufleuchten lassen.
Max Kattner, der Inhaber der Galerie, faßt in einer mustergültigen Ausstellung Fotografie, Grafik, Literatur und – nicht zu vergessen! – prächtige italienische Rahmen von Olaf Lemke zu einem Gesamtkunstwerk zusammen, das sich aufs Schönste zu präsentieren weiß.
 
Das Buch: „Venedig – Eine literarische Zeitreise“
Text: Jürgen K. Hultenreich - Photographien: Angelika Fischer

Angelika Fischer - Casa de Oro, 2014

© 2015 Edition A.B. Fischer, 208 Seiten mit 168 Abbildungen im Duoton und einem Lageplan,
Format: 17 x 24,5 cm, Fadenheftung als Klappenbroschur. - ISBN 978-3-937434-65-0
24,80 €       
 
Die Ausstellung: „Zeitreise Venedig“ – von Jürgen K. Hultenreich (Dichter, Maler, Tuscheur) und Angelika Fischer (Fotografin)
Galerie der Moderne – 12203 Berlin-Lichterfelde - Hindenburgdamm 57C
Telefon 0171–542 75 26 oder 030–7 81 30 88
Dienstag bis Donnerstag 14-19 Uhr
Freitag bis Samstag 11-16 Uhr
U+S Rathaus Steglitz / Bus M85, 283, 285 / Haltestelle Manteuffelstrasse
 
 
Redaktion: Frank Becker