Am I Still a House?

Erwin Wurm im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal

von Jürgen Kasten

Erwin Wurm - Foto © Frank Becker
Am I Still a House?
Erwin Wurm im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal
 
„Typisches Wuppertaler Wetter, Sonne und strahlend blauer Himmel, geben der Ausstellung mit Werken des österreichischen Künstlers Erwin Wurm den richtigen Rahmen.“ So formuliert es Tony Cragg schmunzelnd im Pavillon seines Skulpturenparks Waldfrieden, als er den Künstler am 10. April vor zahlreichen Pressevertretern vorstellt.
 
„So geil kann Kunst sein“, titelte kürzlich die Bild-Zeitung anläßlich der Wolfsburger Ausstellung. Erwin Wurm beleidigt so eine Zeile nicht; aber es ärgert ihn, daß man seine Kunst als witzig oder lustig mißversteht. Sie ist es nämlich nicht. Als Beispiel führt er sein „Narrow House“ an, das auf der Biennale in Venedig neben einem Palazzo stand und in diesem Kontrast durchaus lustig aussah. „Wenn man es aber betrat, überfiel einem sofort eine klaustrophobische Enge“, so Wurm und er fügt an: „mein Vater war Kriminalbeamter.“ Das „Narrow House“ war eine Verkleinerung seines Elternhauses, das Haus seiner Kindheit. Architektur und Häuser sind ein zentrales Thema seines Schaffens. Die Wuppertaler Ausstellung steht ganz im Zeichen dieser Gebäude.
Sieben seiner Arbeiten sind im Pavillon des Skulpturenparks zu sehen. Sie tragen Namen wie Dismiss, Docile, Gunmetal, Stammheim, Detain, Zorro oder Diverge. Als Materialien benutzte Wurm Aluminium, Bronze und Acryl. „Docile“ zum Beispiel, scheint ein einfaches Farmhaus zu sein. Das Dach ist eingedrückt. Schaut man genauer hin, erkennt man den Eindruck eines Gesäßes, den der Künstler auf dem ursprünglichen Lehmmodell hinterlassen hatte. Auch die anderen Objekte zeigen Spuren von Faustschlägen oder etwa Fußtritten. Wurm arbeitet mit vollem Körpereinsatz. „Als Künstler muß man leiden“, erklärt er lakonisch.
In der Ausstellungsbeschreibung wird dazu der Philosoph Markus Gabriel zitiert: „Es gibt nicht eine Welt, sondern ganz viele verschiedene Perspektiven auf die Welt.“
Im Außenbereich des Pavillons finden sich noch zwei weitere, etwas größere Objekte, Melting House II (Ex-Wife) und Melting House III (Parent´s House). Wie in der Sonne zerschmelzende Häuser scheinen sie sich ihrer ursprünglichen Form zu entziehen.

 
Erwin Wurm Farmhaus - Foto © Frank Becker
 
Erwin Wurm betont, daß er ein politisch und philosophisch denkender Mensch und Künstler ist. Besonders deutlich wird das am Star dieser Ausstellung, dem „Fat House“. 5,4 x 10 x 7 m groß steht es etwas unterhalb der Villa Waldfrieden auf grüner Wiese, umrahmt von Bäumen. Ein begehbares Objekt. Betritt man den Innnenraum, begrüßt das „Fat House“ den Besucher mittels einer Videoinstallation.
Es sagt Sätze wie: „Ein Haus kann nicht fett sein...Kein Haus ist fett...Aber ich bin ein Haus und fett...Bin ich eher Kunstwerk als Haus?...Ich glaube nicht...Häuser können nicht fett sein...Aber Moment – vielleicht muß Kunst fett sein?...Es gibt vieles auf der Welt, was fett ist.: Tiere, Menschen und Pflanzen, Firmen, Konten, Liegenschaften, Macht und Einfluß, Städte...Sind sie deswegen Kunst?...“
Während des Erzählens entdeckt das Haus einen großen Haufen Hundekot und fragt: „Ist das Kunst oder Hundescheiße?“


Erwin Wurm + Fat House - Foto © Frank Becker



Erwin Wurm, Fat House - Foto © Frank Becker

Man mag beim oberflächlichen Betrachten dieser Kunstobjekte schmunzeln, stellt sich aber gleich darauf die Frage, was sich hinter diesen Deformationen verbirgt. Martha Gutschi beantwortet das in ihrer Ausstellungsbeschreibung so: „Die Deformationen der architektonischen Form wird zum Sinnbild der psychischen Verfasstheit. An der Oberfläche manifestiert sich, was ansonsten hinter Mauern verborgen bleibt. Die dysfunktionale Verformung wird zum Aufbegehren gegen Konformität und Normierung.“
Wenn man dann noch weiß, welche realen Gebäude der Künstler beim Erschaffen seiner Hausobjekte im Sinn hatte, versteht man. „Diverge“ zum Beispiel entspricht dem Wiener „Narrenturm“, „Zorro“ dem Staatsgefängnis „St. Quentin“, „Detain“ der deutschen Bunkerarchitektur und „Stammheim“ ist selbsterklärend.
Der Künstler selbst lebt übrigens in einem kleinen Schloß aus dem 12. Jahrhundert im Weinviertel nahe Wien.


Erwin Wurm, Fat House - Foto © Frank Becker
 
Erwin Wurms Plastiken und Skulpturen sind weltweit vertreten, an verschiedenen Orten der USA, in Australien, Japan, China und Finnland, in Paris, in Wolfsburg und jetzt eben aktuell in Wuppertal. Für seine Arbeiten benutzt er unterschiedliche Werkstoffe, setzt aber auch auf andere Darstellungsformen und -arten, wie Film, Foto und Performance, wobei er Alltagsgegenstände verfremdet und sie so im ironisch-kritischen Blick auf das alltägliche Leben erscheinen läßt. „Erwin Wurm bezeichnet es als Aufgabe des Künstlers, der Welt Sinn zu entziehen“ (Ausstellungstext: Martha Gutschi).
 
Die Ausstellung ist bis zum 12. Juli 2015 im Skulpturenpark Waldfrieden, Hirschstr. 12, 42285 Wuppertal zu besichtigen. Dienstag bis Sonntag, 10 – 19 Uhr.
Unbedingt hingehen. Ein Katalog ist erschienen.
 
 
Redaktion: Frank Becker